von Madeleine Bernstorff
Pro Quote Regie1, die Golden Feminists2, die Aktion „Haben Sie heute schon einen Film von einer Frau gesehen“3, die Forderung „Wir wollen immer noch alles und von allem anderem die Hälfte“4, die Verfassungsklage des Verbandes der Filmarbeiterinnen e.V. für eine geschlechterparitätische Besetzung der Filmfördergremien5 1988 − dies sind nur einige der unzähligen historischen und gegenwärtigen Initiativen und Aktionen, um eine geschlechtergerechtere Verteilung und Sichtbarkeit von Frauen im Filmbereich herzustellen. Manch eine feministische Idee wirkte seit den späten 1960er Jahren in die Deutsche Film– und Fernsehakademie Berlin (dffb) hinein oder aus ihr heraus – und war gelegentlich auch verbunden mit der Frage nach dem „guten Filmemachen“. Bekannterweise wurde der Abschied von „Papas Kino“6 in der Nachfolge des Oberhausener Manifests 1962 von dessen reinem Männerchor aus München eingesungen und formulierte auch die Dringlichkeit einer Filmausbildung. Der Filmabteilung der Hochschule für Gestaltung in Ulm, in der seit Mitte der 1960er Jahre Film unterrichtet wurde, fiel es anfangs leichter als der dffb junge Frauen aufzunehmen, womöglich weil man bewusst(er) an die Bauhaus-Tradition anknüpfte. Mit den Filmemacherinnen Ula Stöckl, Marion Zeemann, Claudia von Alemann, Recha Jungmann, Jeanine Meerapfel traten dort – zum Teil noch vor dem Aufbruch der Neuen Frauenbewegung – Filmemacherinnen in Erscheinung, für deren filmischen Ansatz die eigene Realität als junge Frauen bewusster Ausgangspunkt ihrer Filme wurde.
1966: Die ersten drei Studentinnen
1966, im ersten Jahrgang der dffb waren unter den 35 Studierenden insgesamt drei Frauen: Gerda Kramer, Irena Vrkljan und Helke Sander. Die Schriftstellerin Irena Vrkljan aus dem damaligen Jugoslawien (vgl. den Beitrag Transnationales Lernen) produzierte einen kurzen Film FAROCKI DREHT (1967) und drei geschichtsbewusste, eigenwillige Berlinporträts; die Schauspielerin Gerda Kramer folgte während der Akademieschließung im Herbst 1968 dem temporären dffb-Dozenten Egon Monk7 nach Hamburg ans Schauspielhaus, und die dritte war Helke Sander (dffb 1966-1969), die ebenfalls eine Schauspielausbildung hinter sich hatte und in Finnland bereits erfolgreich an Studenten- und Arbeitertheatern sowie für das finnische Fernsehen gearbeitet hatte. Man siezte sich anfangs noch. Die dffb versuchte sich beizubringen, wie man Film lehrt, unzählige Konzepte, Befragungen und Diskussionen zeugen davon. „Es gab keinen systematischen Unterricht, weil auch niemand wusste, wie man so eine Filmakademie führt [...] Ich war ja auch schon älter.”8 “Dieses Arbeiten-Müssen, Studieren-Wollen und ein Kind haben, bedeutete eine unglaubliche Organisierung von Alltag.”9 “Und ich musste mich sehr durchsetzen, weil die anderen am Anfang nicht richtig wahrgenommen haben, dass ich auch eine Studentin war und nicht nur eine Freundin.“10 Zahlreiche Dokumente diskutierender junger Männer und stumm dabeisitzender junger Frauen zeugen von den Verhältnissen, auch wenn Frauen in der Studentenbewegung weitaus präsenter waren, als es das im Nachhinein geprägte Bild erscheinen läßt. In einem Seminar mit dem Regie-Dozenten Jiří Weiss entstand unter der Vorgabe „boy meets girl“ Helke Sanders erster Film SUBJEKTITÜDE (1966/67). „Eine Frau und zwei Männer an einer Bushaltestelle, jeweils mit subjektiver Kamera aus der Perspektive der Person gedreht, die spricht und die jeweils anderen beobachtet. Um es [das Thema] für mich interessant zu machen, nahm ich alle Personen mit subjektiver Kamera auf und hatte das Problem, warum ich – bei subjektivem Blick – überhaupt von einer Person zur anderen schneiden solle. Der subjektive Blick hört ja nicht auf. Es ist meine Entscheidung von außen, die drei Charaktere in ihren Äußerungen zu unterbrechen.“11 Helke Sander löst die sexualisierten, taxierenden Blickwechsel zwischen den Männern und der Frau in eine komplexe Dreiersituation mit Nahen, Schwenks und Totalen auf. Die lakonischen, die Situation kommentierenden inneren Monologe der Drei geben dem Film seine heitere und flirtive Qualität.
dffb-Flugschrift Nr. 2: Ein Politisierungsprozess
In der undatierten Flugschrift Nr. 212 überschrieben mit „Kritik und Selbstkritik“ stellt Helke Sander die Frage nach der Unterscheidung zwischen gesellschaftlicher und privater Gewalt in den an der dffb entstandenen Filmen: „ich nehme die definition an, dass alle in den letzten beiden tagen bei uns gezeigten filme sich in irgendeiner weise mit der gewalt auseinandersetzen.“13 Sie beschreibt den Film eines Kommilitonen, die darin verinnerlichte, unreflektierte Gewalt, dann kommt sie zu Filmbeispielen „die gewalt feststellen, deren ursachen aber irgendwo im metaphysischen beheimatet sind.“14 Eine dritte Kategorie zeichne sich dadurch aus, der Gewalt einen Namen zu geben und diese als in einem historisch erklärbaren Prozess stehend zu zeigen. Es gebe aber „einen absurden kampf um die bedeutung bzw. vorrangigkeit der sog. privaten und [oder] der gesellschaftlichen gewalt.“15 Die Verständigungsprobleme an der Akademie gründeten ihrer Meinung nach in der fortwährenden Suche nach qualitativen Unterschieden zwischen der einen, der definierten und der anderen, der bisher undefinierten, noch nicht gesellschaftlich untersuchten Gewalt: „es mag daran liegen, dass diese teilung mit der politik der berliner linken zu tun, die zwar ungeheuer viel von den gesellschaftlichen konflikten spricht und dabei [aber] die zwischenmenschlichen konflikte außer acht lässt oder verdrängt. [...] tatsache ist, dass der kult mit emblemen und fahnen und massenhaftigkeit auch die funktion hat, die eigenen privaten probleme zu verschleiern. es ist so, dass nicht über die gewalt zwischen den geschlechtern gesprochen wird. [...] die ganzen frauen, die mit stoff von [vor] dem busen und dem tod auf den lippen durch die filme wandern, sind eben deshalb unerträglich, weil sie immer nur schon bekanntes reproduzieren. [...] die frauen sind jetzt soweit, dass sie nicht mehr bei allen obskuren tätigkeiten der männer mitmachen müssen.“16 Ist dies die „Urszene“ eines feministischen Bewusstwerdungprozesses? Es sieht so aus.17 Damit verknüpft ist für Helke Sander die Form–/Inhalt‒Frage: „zuletzt wäre noch darüber zu sprechen, warum die filme der politiker, wenn wir sie mal pauschal so nennen dürfen, oft technisch so schlecht sind und warum die filme der ästhetiker, wenn sie auch pauschal so genannt sein dürfen, zwar oft inhaltlich schwachsinnig, aber technisch durchdacht und anregend sind und neuartig.“18 Die „Politiker“ - vor allem wenn sie dokumentarisch drehen - seien oft den Ereignissen ausgeliefert, man müsse „schnell die einstellungsgrößen entscheiden können und aufpassen, dass man keins über den schädel gezogen kriegt usw. [...] Über [all] diese dinge ist bisher zu wenig diskutiert worden. die weiteren schwächen ergeben sich aus der neuheit der erkenntnisse. es genügt ja nicht eine politische erkenntnis zu haben. es muss ein gedanke filmisch herausgearbeitet werden und zwar ein gedanke, der bisher noch in keiner weise eine filmische tradition hat. [...] die ästhetiker mögen für sich sprechen. aber sie sollen es auch endlich tun.“19In der Argumentation dieser Flugschrift zeigt sich ausgehend von den Filmen der dffb-Kommilitonen eine erste (film-)feministische Politisierung, indem Helke Sander die Relation zwischen offensichtlicher und „privater“ Gewalt und deren Repräsentation aufzeigt, gleichzeitig aber auch das simplifizierte Schisma zwischen den „politischen“ und den „ästhetischen“20 Filmemachern angeht.
Auch wir agieren
Ein Flugblatt der Studentenvertretung vom 13. Juni 1967 mit der fröhlichen Anrede „FILMER - MITLÄUFER - LAHMÄRSCHE!“ ist unterzeichnet mit „Frauenrecht SANDER und Hinterhaus BITOMSKY“.21 Im Rahmen der legendären dffb–Gruppe 3, die sich in der hochpolitisierten Ratlosigkeit nach dem Benno Ohnesorg-Mord im Herbst 1967 gegründet hatte, entstand BRECHT DIE MACHT DER MANIPULATEURE (1967/68) „Auch wir agieren: nur in einem anderen technisch-chemischen Verfahren“, sagt Helke Sander dort in einer Rede zur Springerkampagne. Sander aktivierte Kontakte zum finnischen Fernsehen22 und drehte gemeinsam mit Ulrich Knaudt, Skip Norman (vgl. den Beitrag von G. Conradt) und Harun Farocki „und noch anderen aus dem antiautoritären Lager“23, mit großer „formaler Transparenz“24 und Selbstreflexion den Film zur Springerkampagne, der dann von den Ereignissen - dem durch die Hetze der Springerzeitungen entfachten Anschlag auf Rudi Dutschke - überholt wurde. „Mein Ziel damals war, einen theoretisch komplexen Sachverhalt darzustellen und Leuten zu vermitteln, denen die Argumentation der APO (Außerparlamentarische Opposition) fremd war. Die Erkenntnis, dass das, was in den Zeitungen steht, nicht nur ‚Information‘ ist, sondern bearbeitet, kommentiert, entstellt und bestimmten Interessen dienend sein kann, traf mich damals mit ungeheurer Wucht. Die war gemischt mit Scham darüber, dass mir diese Ahnung von gesellschaftlichen Zusammenhängen relativ spät und nur durch glückliche Umstände zuteil wurde. Die Einsichten verdankte ich ganz eindeutig der sich bildenden Studentenbewegung, an deren Teach-ins und Vorlesungen ich von außen als Zuhörende und Lernende teilnahm und später, indem ich mich mit diesem ungeheuren Ausbruch von Neugierde und Fragen, die alles erlaubten und die mir die Studentenbewegung auszumachen schien, identifizierte. Der Film folgt nicht dokumentarisch den verschiedenen Aktivitäten der APO zur Springerkampagne, sondern versucht, die Hauptargumente der Kampagne nachzuvollziehen und zwar so, wie ich sie verstanden habe. Wichtig war mir vor allem, in einem Film über Manipulation nicht selber zu manipulieren.Helke Sander: Brecht die Macht der Manipulateure.“25
1970: Acht Studentinnen. WOMEN’S CAMERA (1971)
Wie Helke Sander in der Rückschau beschreibt „begann [die zweite Frauenbewegung] nun auch bei den sich allmählich kennenlernenden Filmemacherinnen eine Rolle zu spielen.“26 Sie setzten sich dafür ein, mehr Frauen an die Schule zu bringen.27 Der 21-minütige Gruppenfilm WOMEN’S CAMERA entstand 1971, nachdem 1970 zum ersten Mal ebenso viele Männer wie Frauen an der Akademie angenommen worden waren. Die „Grundkursfrauen“ Gardi Deppe, Barbara Kasper, Brigitte Krause, Ingrid Oppermann und Tamara Wyss drehten, angeregt durch den freundlichen Dozenten Charles Völsen, der in den Credits unerwähnt bleibt, ein Kamera-Tutorial aus weiblicher Perspektive. Auch die damalige Filmstudentin und spätere Autorin Ulrike Edschmid arbeitete kurzzeitig mit. Sie planten und entwickelten den Film in „einer schönen Runde bei vielen gemeinsamen Mittagessen.“28 In den Negativberichten für das Geyer-Kopierwerk in Hamburg steht: „Regisseur: Frauen“, „Kameramann: Frauen“. Drei Zweierteams montierten schließlich drei Versionen als Schnittübungen, die letztlich veröffentlichte Fassung stammt von Ingrid Oppermann und Gardi Deppe. Der Film war dafür vorgesehen nachfolgenden Grundkurs-Studierenden gezeigt zu werden, Fortsetzungsfilme sollten Licht und Ton behandeln. Es war die Zeit der Kollektivfilme, der Zielgruppenfilme, und Fragen des Lehrens und Lernens beschäftigten nicht nur die Studierenden der Filmakademie.29
WOMEN’S CAMERA beginnt mit der eleganten Ingrid Oppermann an der Kamera, die am Stativ stehend die Arri BL 16‒mm‒Kamera in Richtung der auf sie zufahrenden, filmenden Kamera schwenkt. Einzeln schießen die weißen Großbuchstaben des Titels30 WOMEN’S CAMERA ins bildfüllende Objektiv mit Kompendium, im Rhythmus knatternder Rockriffs der Band „Rumplestiltskin“. Ein Schwenk nach rechts zeigt das Gesicht der Kamerafrau, deren linkes Auge geschlossen ist. Eine klare und kompetente weibliche Stimme behauptet, beschreibt und erklärt die Vorgänge oder schweigt, wenn das Filmmaterial in der Kassette im Dunkelsack eingelegt wird, auf den die Kamera zufährt, bis fast das ganze Bild schwarz ist. Tamara Wyss kann sich beim Beschriften der Kassette das Lachen nicht verkneifen, wie auch beim abschließenden Blick in die Kamera. Zum Thema „Objektiv“ sehen wir direkt auf der Mattscheibe das Bild einer jungen Frau - Gardi Deppe - frontal beim Stricken. Die verschiedenen Blendenöffnungen und die damit auf den Film fallende Lichtmenge, Schärfe und der sich so verändernde Bildausschnitt werden mit einer Aufnahme Gemüse und Kartoffel schälender Hände von schräg oben vorgeführt, dazu hört man Schälgeräusche. Eine Schrift liegt auf dem Bild: „Über das Fleisch, das euch in der Küche fehlt/Wird nicht in der Küche entschieden.“31 Schließlich stehen vier der Filmemacherinnen beim Dreh in einem Birkenwäldchen, die großgewachsene Gardi Deppe beugt sich in weitem Ausfallschritt über die Kamera, dazu sind zwei etwas rätselhafte Strophen aus dem „Rolling Stones’“ Song „She’s a Rainbow“ zu hören, bis das Bild einfriert. Der Film wurde eine Zeit lang den darauffolgenden dffb-Jahrgängen gezeigt. Hartmut Bitomsky schrieb unter der Überschrift „Die Filme, die Produktion des Reichtums und die armen Konsumenten“: „Women’s Camera ist ein Film zur Befreiung der Frau, er handelt nicht von der Emanzipation, er ist ihre Objektivierung. […] [Es] ist ein Film über das Kamerahandwerk, das Frauen ausgeübt haben.“32 Irgendwann verschwand der Film dann im Archiv der immer wieder sich selbst vergessenden dffb. Den „Grundkurs-Frauen 1971“ gelingt mit Women’s Camera eine Antwort auf die spezifische Erfahrung gesellschaftlicher Unterstellungen bezüglich des Umgangs mit Technik: „Frauen!!! und Technik!!!“33 Souverän, kollaborativ und selbstermächtigend wird auch die Hausarbeit mit leichter Hand ins Spiel gebracht: Es wird gestrickt und gekocht und gefilmt. Situiertes Lernen34 und Lehren am Material sind hier ineinander verschränkt. Die Studentinnen (und der unsichtbare Dozent) verwandeln die gemeinsame Lernerfahrung in eine aktive und aufklärerische Lehrerfahrung. Zu sehen ist also der Spaß, den praktische Intelligenz und befreiendes Weitergeben machen.
Cristina Perincioli: FÜR FRAUEN, 1. KAPITEL (1971)
Im selben Jahr – nämlich 1971 - dreht die dffb-Studentin Cristina Perincioli mit vier Frauen aus dem Märkischen Viertel, mit Gisela Tuchtenhagen an der Kamera, Valeska Schöttle für den Ton sowie dem afroamerikanischen dffb-Studenten Skip Norman als Lichtmann, den ungestümen Leichtlohn-Streikfilm FÜR FRAUEN 1. KAPITEL.35 Dem Film vorausgegangen war Cristina Perinciolis Zuarbeit für den Film KINOGRAMM II / MIETERSOLIDARITÄT (DE 1970) des relegierten dffb-Studenten Max Willutzki. Perincioli hatte dessen Film aus ihrem dffb-Budget finanziert und ausser der Kamera alle Arbeiten ausgeführt; bis heute wird sie in den Credits nicht erwähnt. „Diese Arbeitsteilung sensibilisierte mich für weitere geschlechtsbezogene Beobachtungen.“36
Bei einem Go-In der Mietergruppe lernt sie die Frauen kennen, mit denen sie die Filmidee, ein „Drehbuch aus der Schürze“37 erarbeitet, das sie dann improvisierend inszeniert. Die Kassiererinnen eines Supermarktes entdecken, dass sie schlechter als die Männer bezahlt werden und beschließen zu streiken. Deren Spaß und Engagement, ihre „direkte, unverhohlene Adressierungsweise und das offen zur Schau gestellte Laienspiel“38, „die Lust das Undenkbare zu denken und zu wagen“39 bei dieser gemeinsamen Sache machen den Spielfilm bis heute zu einem realistisch-utopischen Dokument. „Der Film hebt die Veränderbarkeit der Verhältnisse in einer fast schon klassischen Erzählweise auf und naturalisiert, anders gesagt, statt der Verhältnisse ihre Veränderbarkeit.“40 Mit dem Erfolg des Films bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen41, in der Zeitschrift „Filmkritik“42, Verkäufen an Internationes43, an das Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (FWU)44 sowie an das Schweizer Fernsehen, der Ausstrahlung im ZDF und vielen Ausleihen konnte die dffb an die Protagonistinnen mehrmalige Gagen-Nachzahlungen verfügen.45
Elsa Rassbach: HIS–STORY (1972)
Elsa Rassbach kam 1965 aus den USA und hatte an der Freien Universität Berlin bei Klaus Heinrich studiert und gearbeitet. In Berlin war sie aktiv in der Protestbewegung zur Unterstützung amerikanischer Vietnamkriegsverweigerer und so ist sie auch kurz in Carlos Bustamantes Film DE OPPRESSO LIBER (1968)46 zu sehen. In ihrem Bewerbungsbrief an die dffb 1967 erhofft sie sich „politische Allegorien machen zu können.“47 Ihr Film HIS–STORY (1972) ist eine satirische Nach-Inszenierung eines Gesprächs der Frauenrechtlerin und Kommunistin Clara Zetkin mit Lenin zur Frauenfrage im Jahre 1920. Der Text von Zetkin hatte Rassbach damals "den Eindruck vermittelt, dass sie, eine große Theoretikerin der Frauenemanzipation, sich von ihm wie eine kleine Schülerin behandeln ließ und fast gar nicht zu Wort gekommen war“.48 Der Prolog von HIS-STORY ironisiert die Geschlechterverhältnisse in der Studentenbewegung: „Viele der Frauen, die sich seit 1966 der Studentenbewegung anschließen, tun dies nicht völlig aus eigenem politischem Entschluss. Manche von ihnen sind mehr oder weniger freiwillige Anhängsel von Freunden und Bekannten.“ Ein Tusch, Gegenschnitte auf Gesten weiblicher Zu-Arbeit bei der Erstellung und Verteilung von Flugblättern. Die Studentin Eva beklagt sich über ihren Freund Christian49 „Ich habe ihm doch ermöglicht, dass er seine intellektuelle Arbeit macht.“ Nun tritt Zetkin auf und beschreibt Vergleichbares in den linken Bewegungen des frühen 20. Jahrhunderts: „Einige Genossen versuchten, ihre theoretischen Schwächen durch Diskriminierung der Frauen zu verdecken.“ In einem kargen 1968er-Zimmer mit martialischer Maoparole50 an der Wand wird die Begegnung zwischen Clara Zetkin und Lenin in historischen Kostümen nachgestellt, ihre Dialoge sind wortgenau aus Zetkins Denkschrift51 nachsynchronisiert, die Kamera umfährt die beiden in ausufernden Kreisbewegungen. „Lenin“ will die Frauenbewegung in die 3. Internationale integrieren und polemisiert gegen sexuelle Befreiungsbestrebungen: „Die Revolution duldet keine orgiastischen Zustände. Die Zügellosigkeit des sexuellen Lebens ist bürgerlich, ist Verfallserscheinung.“ Schließlich gibt „Clara Zetkin“ klein bei und geht betrübt die Treppe hinunter, ihr Schattenriss liegt über den Seiten der Buchvorlage. „Nicht lispeln, wie brave Tanten, als Kämpferinnen laut reden, deutlich reden. Beweist, dass ihr kämpfen könnt ... Es geht doch um die großen Frauenmassen,“ ruft Lenin ihr nach. Allegorisch und ironisch warnt der Film vor der Kapitulation der Frauen vor männlichem Führungsanspruch und den „leninistischen“ Dogmatisierungen der Studentenbewegung der frühen 1970er Jahre: ein Plädoyer für eine selbstbestimmte Frauenbefreiungsbewegung.
Die Filme und ihre Anliegen
Das Buch zu AKKORD (1970) entstand als Produktion einer Gruppe um die ehemalige FU-ASTA-Vorsitzende Sigrid Fronius im Rahmen eines Farbkurses des dffb-Kamera-Dozenten Dietrich Lohmann. Nach Gesprächen am Arbeitsplatz und einer Auseinandersetzung mit dem Zeitnehmer setzen sich Osram-Arbeiterinnen - einschließlich einer politisierten Studentin - erfolgreich gegen die Kürzung ihrer Akkordzulagen zur Wehr. Ingo Kratisch filmte die inszenierten Situationen im dffb-Studio, in Gängen und Büros und montierte das Material mit seinen Super8-Aufnahmen aus dem Osram-Werk - mit genauem Blick für die feinmotorischen Arbeitsvorgänge in der Glühbirnenproduktion. Marianne Lüdcke mit schwarzer Perücke spielt die Hauptrolle. „Über dem Film AKKORD liegt der Lärm der Maschinen und das Grau der Vorbelichtung52. Die Frauen sind dort schon so weit auseinander, dass ihre Worte sie nicht mehr zusammenbringen werden.“53
Viele dffb-Filme der 1970er Jahre machen schon im Titel (über-)deutlich worum es geht, was die gesellschaftspolitische Forderung ist - vergleichbar dem frühen film-feministischen Ansatz der Zweiten Frauenbewegung, der eher als soziologisch zu bezeichnen ist.54 Das Nachdenken über die Form ist manchen der Filme zweitrangig.55 Einige gingen direkt in die gewerkschaftliche (Film-)Bildungsarbeit ein. Vorrangiger Anspruch ist die mediale Verbreitung von Themen. Die Filme drücken dringende, legitime Forderungen nach gesellschaftlicher Gerechtigkeit und Inklusion aus: GLEICHER LOHN FÜR MANN UND FRAU (1972) von Barbara Kasper und Lothar Schuster, PACK AN – KINDERSCHULE FINKENSTRASSE (1974) von Brigitte Krause zum Kampf einer Obdachlosensiedlung in Bremerhaven um eine selbstorganisierte Kinderschule, HELFEN KÖNNEN WIR UNS NUR SELBST (1974) von Gardi Deppe, ANALPHABETEN IN ZWEI SPRACHEN (1975) und WIR WOLLEN AUCH LEBEN (1976–1978) von Mehrangis Montazami–Dabui (vgl. den Beitrag über Transnationales Lernen), IM PRINZIP HABEN WIR NICHTS GEGEN MÄDCHEN (1975/76) von Riki Kalbe, Theo Kondring und Gunter Stallmann, DAS SCHWACHE GESCHLECHT WIRD STARK (1973/74) von Claudia Schilinski über drei Schering-Arbeiterinnen, die nach einem verlorenen wilden Streik ihre Ansprüche an die Gewerkschaften formulieren, vergleichbar auch Ingrid Oppermanns FRAUEN - SCHLUSSLICHTER DER GEWERKSCHAFT (1975). VON WEGEN ‚SCHICKSAL‘ (1978/79) von Helga Reidemeister tangiert mit ihrem Porträt einer Arbeiterfrau aus dem Märkischen Viertel bewusst den schmalen Grat zwischen partizipatorischem Filmemachen und dokumentarischer Grenzüberschreitung.
Mit BETRIEBSSCHLIESSUNG – BETRIEBSVERLAGERUNG … (1973) von Barbara Kasper und Lothar Schuster öffnen die Filmemacher anhand einer Betriebsverlagerung nach Singapur den Blick für globale Wechselwirkungen: „Es gibt eine Dritte Welt innerhalb der Ersten so gut wie die Erste Welt innerhalb der Dritten. Es ist sehr leicht, die Dritte Welt in Europa zu finden.“56
Einige Filme gerieten aber auch schon vor ihrer Fertigstellung ins produktionstechnische und inhaltliche Abseits. Helmut Herbst, Dozent an der dffb von 1969 bis 1979, bemerkt im Rückblick, daß etwa ab Mitte der Siebzigerjahre „schleichend und schamhaft die Anpassung an den Markt erfolgte. Die Maßstäbe für die Produktionen werden zunehmend von draußen geliefert. Paradoxerweise wurde diese Phase durch kümmerliche aber linientreue Filme für die neuen politischen Sekten vorbereitet, von denen die meisten nie fertig wurden.“57
Ästhetische Innovationen
Die meist separaten Sphären der politisierten Filmemacher der K-Gruppen58 und der oft nicht minder politisierten Künstlerinnen und Künstler, die mit ihren „experimentellen“ Arbeiten aber einen völlig anderen Weg beschritten, prallten gelegentlich bei den Kurzfilmtagen Oberhausen aufeinander.59 Der radikale Bruch mit herrschenden Formen des Mediums, die Forderung nach einer experimentellen, kritischen, feministischen Filmarbeit, auf die Laura Mulvey in ihrem wegweisenden Aufsatz „Visuelle Lust und narratives Kino“ pocht, hatte allerdings in der BRD eine längere Halbwertszeit. „Der erste Schlag gegen die monolithische Akkumulation traditioneller Filmkonventionen (den radikale Filmemacher bereits geführt haben) hat zum Ziel den Blick der Kamera zu befreien, ihre Materialität in Zeit und Raum herzustellen, den Blick des Zuschauers zu einem dialektischen zu machen, eine leidenschaftliche Trennung herbeizuführen. [...] Frauen, deren Bild fortwährend zu diesem Zweck gestohlen wurde, können dem Verfall der traditionellen Filmform mit kaum mehr als sentimentalem Bedauern zusehen.“60 Schon 1968 initiierten Birgit und Wilhelm Hein in Köln die Veranstaltungsplattform XSCREEN und 1971 erschien Birgit Heins Buch „Film im Underground. Von seinen Anfängen bis zum unabhängigen Kino“ als erste deutschsprachige Publikation zum internationalen Experimentalfilmschaffen. Das Festival EXRRMNTL in Knokke-le-Zout (Belgien) prägte in seinen fünf Ausgaben zwischen 1949 und 1974 maßgeblich, was international unter experimentellem Kino verstanden wurde. In Berlin entwickelte Alf Bold mit seinem Programm im Arsenal ein interessiertes Publikum. Die Zeitschrift „Frauen und Film“, 1974 von Helke Sander gegründet in der Nachfolge des ersten internationalen Frauen-Filmseminars 1973 (initiiert von Helke Sander und Claudia von Alemann), durchlebt ihre wechselvolle Geschichte unter unterschiedlichen Herausgeberinnen61, zog von Berlin nach Frankfurt und war nach dem Ende der „Filmkritik“ lange Zeit die einzige Filmtheorie-Zeitschrift der Bundesrepublik. „Diese ersten Hefte waren nicht einfach Träger von Inhalten, die sich erst der Lektüre erschließen, sie waren Gegenstände, die leicht und gut in der Hand lagen, die außen und innen etwas zu sehen gaben, nicht zuletzt auch im Schriftsatz etwas Rätselhaftes und Befremdliches, fremd Verlockendes ausstrahlten. Dinge, mit denen umzugehen etwas Selbstversicherndes versprachen“62, so beschreibt die Filmwissenschaftlerin, Philosophin und Filmaktivistin Heide Schlüpmann die Erfahrung mit der Zeitschrift, in deren Herausgeberinnenteam sie seit 1979 ist. In der „Frauen und Film“-Ausgabe zu „ausbildungsbedingungen – frauen an filmhochschulen“ vom Juni 1980 wird auch die Arbeit der langjährigen „Sachbearbeiterin für Studienangelegenheiten“, der dffb-Sekretärin Helene Schwarz gewürdigt (vgl. den Beitrag über Helene Schwarz von R. Eue): „ihre funktion ist nicht bestimmbar, sie ist auf merkwürdige art identisch mit ihrem beruf – vielleicht ist sie sogar die akademie ... beziehungsarbeit, in diesem fall zum glück bezahlte.“63
1979: elf Studentinnen und eine ENDLOSE VERABREDUNG
Lilly Grote kam 1977 von der Kunsthochschule Kassel an die dffb, und ist eine der ersten Protagonistinnen des (nicht geradlinig verlaufenden) Übergangs von politischen Dokumentationen zu experimentelleren dffb-Produktionen. Ihr Grundkursfilm SECHS SCHRITTE LÄNGS − VIER SCHRITTE QUER (1978), zusammen mit Kirsten Jepsen und Christine Domkowski gedreht, stellt die Knasterfahrung zweier junger Frauen den technokratischen Planungen zweier Architekten für das neue Frauengefängnis in der Lehrter Straße in Berlin–Tiergarten gegenüber: die Ausrichtung des Neubaus auf Kontrolle und Kommunikationsverhinderung. In Grotes Film ENDLOSE VERABREDUNG (1979) werden „durch einfache mechanische Konstruktionen (z.B. Sandmotor) Figuren in Modelllandschaften in Bewegung gesetzt. ... Tricksequenzen gehen unmerklich in real gefilmte Szenen über.“64 Eine „Hausfrau“ wartet und wartet und die Dinge bekommen ein phänomenales Eigenleben. Mit Sprache, Ton und viel Trickarbeit suggeriert Grote assoziative Räume, die die engen Guckkästen weit hinter sich lassen. Als der Stoptrick-Film BRDDR (1981) von Lilly Grote und Irina Hoppe in Oberhausen angegriffen wurde, weil er die DDR und den „antifaschistischen Schutzwall“ lächerlich machen würde, konterte Alf Bold: „Das ist Punk!“65
1980 entstand an der dffb in Co-Produktion mit dem Sender Freies Berlin (SFB) unter dem Arbeitstitel DIE ZUKUNFT DER LIEBE der feministisch unterfütterte Spielfilm über die Pubertät eines jungen Mädchens in einer türkischen Familie in Berlin: GÖLGE von Sema Poyraz und Sofoklis Adamidis (vgl. den Beitrag über Transnationales Lernen) , Gründungsfilm des türkisch-deutschen Kinos. In seiner konzeptionellen Strenge und in der Darstellung von Gesellschaft und Familie als dauerndem Aushandlungsprozess, wie in der sympathisierenden, nicht viktimisierenden Inszenierung der sexuellen Phantasien der erwachsen werdenden Gölge beschreitet er neue Wege.
1979 werden zum ersten Mal mehr Frauen als Männer aufgenommen, darunter auch Ute Aurand, Ulrike Pfeiffer, Bärbel Freund, Ilona Baltrusch, Bettina Thienhaus (vgl.das Interview mit Ute Aurand). Mit dem „halbselbstverwalteten Zugang, der viele Jahre existiert hat“ war es möglich, „auf das zu reagieren, was in der Gesellschaft erkennbar war“, so beschreibt Hans Helmut Prinzler in der Rückschau die Aufnahmepraxis, an der via studentischer Drittelparität Studierende entscheidend mit beteiligt waren.66 Ebenso wichtig war auch die verbreitete Praxis, dass ehemalige dffb-Studierende, die ihr Studium noch nicht so lange hinter sich hatten, die Grundkurse anleiteten. Die Grundkursdozentin Helke Sander zeigte den Studierenden Ann Seversons Film NEAR THE BIG CHAKRA (1972), der stumm 37 Vulvas (von Frauen im Alter zwischen 3 Monaten und 56 Jahren) frontal in extremem Close-up präsentiert und Valie Exports Film MANN FRAU ANIMAL (1973): „Inhalt: 1. Eine Frau (Valie Export) onaniert mit dem Strahl der Dusche in der Badewanne. 2. Eine Vagina mit Blut (Valie Export). 3. Eine Vagina mit Sperma (Valie Export).“67 Helke Sander initiierte eine Diskussion, in der die Frauen unter sich die Eindrücke besprachen. Feministische Körperpolitiken waren spätestens jetzt an der dffb angekommen.
Elfi Mikesch als Lehrende
Die 1980er Jahre brachten eine Öffnung der dffb für experimentelle Arbeitsweisen, anders als bei den Experimenten in der Anfangszeit der Akademie war das gesellschaftliche Umfeld dafür nun da. Ute Aurand schlug im Akademischen Rat der dffb ein Produktionsseminar mit Elfi Mikesch vor, die in ihren Filmen wie ICH DENKE OFT AN HAWAII … (1977/78) dokumentarische und imaginäre Ebenen verband. Das Seminar wurde genehmigt und die Studierenden konnten ein halbes Jahr mit der Filmemacherin arbeiten. Elfi Mikesch zeigte Filme wie Kenneth Angers EAU D’ARTIFICE (USA 1953) und Jean Genets UN CHANT D’AMOUR (FR 1950), Filme, die ästhetisch, inhaltlich und geschlechterpolitisch nicht zum Kanon der „Lehrfilme“ an der dffb gehört hatten. Im Gespräch mit Rosa von Praunheim beschreibt Elfi Mikesch ihre Lehre so: „Ich befrage die Leute am Anfang warum sie Filme machen wollen und was sie erreichen möchten. [...] Wenn ich mit Studenten arbeite, frage ich sie auch nach so einer Initiale, die sie inspiriert. Mit ihr kommen sie dann zur eigenen Geschichte. Ich frage die Studenten, in welchem Raum spielt eure Geschichte, was hat der Ort mit den Leuten zu tun? Danach richtet sich das Licht. Licht ist immer vorhanden, aber wir müssen beobachten, was es macht. Dazu kommt, dass die Kamera sich mit den Darstellern bewegt und nicht umgekehrt. Die Kamera ist ein Werkzeug. Das Bild ist eine Fläche. Eine Geschichte, das heißt, ein ganz und gar emotionales Potential, wird auf einer Fläche ausgebreitet. [...] Kunstlicht, Tageslicht, Mischlicht. Was ist ein Mischlicht? Licht hat ein viel weiteres Spektrum als die technische Eingrenzung. Schaut auf den Inhalt, auf die Menschen. Licht bewegt unsere Handlungen und beeinflusst unsere Emotion und die der Schauspieler. Dabei Phantasie zu entwickeln und nicht zu sagen, da mache ich Kunstlicht, weil es angesagt ist, sondern weil die Situation belebt sein will. Was ist denn Kunstlicht? Was ist Tageslicht? Ich frage, habt ihr schon mal eine Dämmerung gesehen? [...] Wie lange geht so eine Dämmerung und was macht sie mit uns? Was wären wir ohne Licht? Was machen wir mit dem Licht? Wenn ich mich mit der Dämmerung beschäftige und sie nicht nur als Effekt sehe, erlebe ich tatsächlich blaue Wunder. Die Dämmerung ist randvoll mit Geschichten, die daraus hervorkommen können. Bei diesen Beobachtungen kommen die Leute zu ganz konkreten und leibhaftigen Erfahrungen.“68
Maria Lang: FAMILIENGRUFT (1981/82) und ZÄRTLICHKEITEN (1985)
1980 kam Maria Lang an die dffb. In ihrem Bewerbungsbrief äußerte sie sich deutlich: „Zu meinem Beruf: Reprofotografen sind fast ausschließlich Männer, Fotografen sind meist Männer, Fotolaborantinnen sind Frauen. Weil ich mein Leben nicht am Printer verbringen wollte, spezialisierte ich mich und wurde somit Kollegin in Männerteams und ein guter Kumpel zum Saufen und Herzausschütten. Diese Karriere begann ich vor 15 Jahren. Vor sechs Jahren wurde ich aktives Mitglied der Lesbenbewegung. Damit begann mein Ausstieg aus der Männerwelt.“69 Ihr erster Film FAMILIENGRUFT – EIN LIEBESGEDICHT AN MEINE MUTTER (1981/82) „ist ein spröder, klar gebauter Film, der seine lakonische Präzision bis zum Ende durchhält. Sein Thema: die Ambivalenz der ‚Familienbande‘. Er besteht aus beobachtenden Passagen, die Vater und Mutter bei charakteristischen Handlungen zeigen, Montagen von Fotos aus dem Familienalbum und einem ebenso intimen wie trockenen Kommentar.“70 Maria Lang erzählt in der Rückschau: „Tsitsi Dangarembga schrieb in ihrer Filmkritik während der Aufnahmeprüfung an der dffb, ich würde nun gehen können als FREIE FRAU – das hatte mich damals stark berührt, heute weiß ich, um eine ‚freie Frau’ zu werden, hab ich noch einiges vor mir. FAMILIENGRUFT war nur ein Schritt in diese Richtung.“71
Maria Langs zweiter an der dffb entstandener Film ist ZÄRTLICHKEITEN (1985), inspiriert von Chantal Akermans multiperspektivischem Sommerfilm TOUTE UNE NUIT (FR 1982). ZÄRTLICHKEITEN „erzählt etwas über Klischees und Höhepunkte und über Liebe und über Augenblicke des Innehaltens durch die eine sich selbst erlebt. [...] Und ich überlegte in der Zeit als ich die Möglichkeit bekam einen Film zu machen welchen Sinn es hat mit diesen ganzen Geschichten und der Erregung nur um sich zu erregen und ob es nicht besser ist stillzusein und zu leben, ob es nicht notwendig ist stillzusein um zu leben. Und ich dachte darüber nach auf welche Art und Weise ich jetzt gerne leben würde und ich nahm das Geld und machte Zärtlichkeiten und erzählte über mein lesbisches Leben und über die immer wieder angefangenen Geschichten die nur Konflikte sind und nie enden und ich erzählte von Sexualität und dass sie immer sehr wichtig ist und sie kam nicht vor und war überall [...]“72 ZÄRTLICHKEITEN ist ein Film mit dem Bewusstsein für die Ambivalenzen von Identifikation und die Paradoxien von Identitätspolitik, so empfindlich wie radikal. „Als Spielfilm gedreht mit wirklichen Lesben an wirklichen Orten über ein wirkliches Lebensgefühl.“73
Der Filmclub: Frauen machen Geschichte. 25 Jahre Studentinnen an der dffb
Auf der Suche nach Filmemacherinnen in der Filmgeschichte organisieren die ehemaligen Studentinnen Maria Lang und Ute Aurand einen Filmclub in der dffb am Theodor-Heus-Platz: in der Nachfolge des zehnjährigen Geburtstags des „Verbandes der Filmarbeiterinnen“, der 1989 in der Akademie der Künste in Berlin gefeiert und diskutiert wurde.74 Die Forderung der zweiten Frauenbewegung gegen den Mainstream-Kanon anzuarbeiten und nach einer neuen Geschichtsschreibung, in der die vielen aus der (Film-)Geschichte gedrängten Werke neu begutachtet würden, war Praxis geworden. In Köln entstand die „Feminale“, in Dortmund die femme totale als Frauen-Filmfestivals, und unzählige Initiativen suchten in der Filmgeschichte nach Regisseurinnen, Filmmacherinnen und Künstlerinnen. Ute Aurand und Maria Lang luden die ehemaligen dffb-Studentinnen mit ihren Filmen zum Gespräch ein und produzierten einen eindrucksvollen zweibändigen Katalog mit persönlichen biografischen Statements der ehemaligen dffb-Studentinnen 1966 – 1991, mit Filmografien und Filmtexten.75
Die in diesem Text in den Blick genommenen Feminismen an der dffb waren bestimmt durch Frauen- und Lesben-Bewegung, Frauenstudien und Gleichstellungskämpfe im gesellschaftlichen Umfeld, bevor in den 1990 Jahren vor allem mit der Rezeption von Judith Butlers Texten die „gender“- und „queerstudies“ Einzug hielten, und bevor (feministische) migrantische, nicht-weiße Positionen nicht nur als Ausnahme artikuliert wurden.
„Filme geraten in Vergessenheit, weil Bestimmte sich immer nur um Bestimmte kümmern.“76 Aber auch in diesem Text kommen nur Bestimmte vor, und die Liste der dffb-Filmemacherinnen, die (mir) hier fehlen, ist lang ...
Dank
Dank für Gespräche und Unterstützung an Barbara Kasper, Ingrid Oppermann, Tamara Wyss, Helke Sander, Heide Breitel, Ute Aurand, Lilly Grote, Rike Anders, Cristina Perincioli, Ilona Baltrusch, Max Linz, Johannes Beringer, Elsa Rassbach, Christa Maerker, Gerhard Schumm, Ingo Kratisch, Renate Meierhofer, Sema Poyraz, Daniel Meiller, durbahn/Bildwechselarchive sowie an die Bibliothek der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen.
Über die Autorin
Madeleine Bernstorff (*1956) unterrichtet Filmgeschichte für Kunststudierende, initiiert Filmprogramme, gerne in Kollaborationen und schreibt. Mitbegründerin der feministischen Kinoinitiative „Blickpilotin e. V.“, Kommissionsmitglied der „Kurzfilmtage Oberhausen“.
www.madeleinebernstorff.de