DEUTSCHE KINEMATHEK MUSEUM FÜR FILM UND FERNSEHEN
Über das Projekt

Porträt

Black and White, Unite! Unite!

von Gerd Conradt

Dem Ehepaar Ida und Wilbert Norman wurde am 22. Dezember 1933 ihr erster Sohn, Wilbert Reuben, in Baltimore (Maryland/USA) geboren — später wird er sich Skip Norman nennen. Sie waren „Schwarze“. In Baltimore galt die Rassentrennung als besonders ausgeprägt. Während die „Weißen“ in die Vorstädte zogen, blieben die „Schwarzen“ in der Stadt zurück. Der Slangname der inzwischen heruntergekommenen Ostküsten–Stadt ist „Bodymore Murderland“ („Noch eine Leiche, Mordland“) — noch 2007 wurden hier 365 Menschen getötet.1

Bald zog die Familie ins benachbarte Washington D.C. — die „Chocolate City“, wie die Hauptstadt der USA auch bezeichnet wurde, weil mehr als die Hälfte der Bewohner „Schwarze“ waren. Diese lebten im Ostteil und die „Weißen“ im Westteil der Stadt. Obwohl die Sklaverei 1865 abgeschafft worden war, erlebte Skip als Kind „Apartheid“, in der Afroamerikaner „von der Wiege bis zur Bahre“ getrennt von dem übrigen Teil der Bevölkerung lebten. In für sie vorgesehenen Schulen, Restaurants, öffentlichen Toiletten, Bussen und Bahnen hatten sie sich aufzuhalten und wer dagegen verstieß — das konnte schon ein unerwünschter Besuch in einem öffentlichen Park sein — musste mit (willkürlicher) Bestrafung rechnen. Der offizielle Slogan der Politik lautete: „Separat but equal“ („Getrennt, aber gleich“), doch in Wirklichkeit herrschten die „Weißen“.2 Pogromartige Überfälle, Misshandlungen, Hinrichtungen, Lynchmorde an „Negern“ durch den „weißen Mob“, durch Organisationen wie den Ku-Klux-Klan oder die „weiße Polizei“, die oft rücksichtlos von der Schusswaffe Gebrauch machte, bestimmten das Leben der Afroamerikaner — und somit auch Skips Kindheit und Jugend.

Skips Vater arbeitete im Pentagon in der Statistikabteilung der Navy, seine Mutter war Hausfrau und betätigte sich in vielen verschiedenen Jobs, wie beispielsweise als Arbeiterin in einer Munitionsfabrik, als Schulbusfahrerin, zeitweise passte sie auf die Kinder aus der Nachbarschaft auf — und sie versuchte sich als Keramikerin mit eigenem Design. Aufgrund der Tätigkeit des Vaters bei der Regierung gehörte die Familie zur Mittelschicht, und es gab Kontakt zu den „Weißen“ — die Familie hatte den ersten Schritt aus dem Ghetto der Apartheit gemacht. Dementsprechend streng verlief Skips Erziehung und die seiner drei Brüder — für sie galt „Anpassung an die Realität“. In seinen „Autobiografischen Erläuterungen“ zur Bewerbung an der Deutschen Film– und Fernsehakademie (dffb) schrieb er lapidar: „Meine Kindheit verbrachte ich in den Straßen von Washington, meine Ausbildung verlief in der üblichen Weise: Volksschule, Mittelschule und Oberschule, die ich mit einer dem Abitur entsprechenden Prüfung abschloss.“3

Skip Norman studierte Germanistik und kam 1961 nach Göttingen. Dort entdeckte er in der Dramaturgischen Abteilung des Seminars für Deutsche Philologie seine Liebe zum Theater. Die Arbeit als Darsteller, Regieassistent, Bühnenbildner, Tontechniker und Inspizient im Studententheater öffnete ihm „das Tor zum großen Theater“, 1964/65 spielte er am Deutschen und Jungen Theater in Göttingen in verschiedenen Stücken, unter anderem mit Bruno Ganz in einer Inszenierung von Heinz Hilpert. „Im Film steckt ein Ausdrucksmittel, das im Theater kaum zu verwirklichen ist“, schrieb er 1966 in seiner Bewerbung.4

Am 17. September 1966 saß Skip — im dunklen Anzug und mit Fliege — stolz im großen Sendesaal des Sender Freies Berlin (SFB). Ich kam erst vier Wochen nach der Eröffnung an die dffb und lernte Skip in der Regieklasse von Peter Lilienthal kennen. Im ersten Studienjahr drehte jeder einen 16-mm-Kurzfilm in Schwarz-Weiß. Erstmals arbeiteten wir zusammen bei dem Film SUBJEKTITÜDE (1966/67) von Helke Sander. Ich als Kameramann, Skip als mein Assistent.

Es war ein kalter Tag im Dezember 1967, Helke Sander drehte ihren ersten Film. Drehort: eine Bushaltestelle am Innsbrucker Platz in Berlin-Schöneberg. Wir drehten Blickwechsel zwischen zwei Männern und einer Frau. Die Handlung ist schnell zusammengefasst: Die Männer signalisieren: Ich begehre Dich! Sie ist verwirrt, blickt zurück — mal zu dem einen, dann zu dem anderen. Die Männer taxieren sich. Dann steigt einer der Männer in den Bus und fährt davon. Seine Abfahrt drehten wir mehrmals. Sein irritierter Blick auf die Frau aus dem abfahrenden Bus, dann die Blicke der Frau auf den Mann im davonfahrenden Bus. Zum Glück hatten wir die Unterstützung der BVG. Der Bus fuhr an und stoppte nach fünf Metern. Wir konnten aussteigen und den nächsten Versuch mit dem nächsten Bus drehen. Die Hauptdarstellerin war eine attraktive Schwedin. Wir dachten alle in Konzepten — in Blicken.

1978 schrieb der Filmkritiker Kraft Wetzel über den Film: „Die vier­mi­nü­tige SUBJEKTITÜDE ist ein in Maßen komi­sches Katz- und Maus-Spiel ausschließ­lich in subjek­tiven Einstel­lungen und inneren Mono­logen: Zwei Männer sind an einer Bushal­te­stelle mit abschät­zenden Blicken und takti­schen Gehma­nö­vern dabei, eine Frau anzu­ma­chen, die deren Vorbe­rei­tungen trocken kommentiert."5

RIFFI (1966) heißt Skips erster Film. Leider ist derzeit keine Kopie von dem Film verfügbar. Skip machte in dem Film ein ungewöhnliches Experiment, das er mit Holger Meins entwickelt hatte. Holger organisierte für Skip den ganzen Film — ich war der Kameraassistent.

  • Produktionsanmeldung für RIFFI (DE 1966, Regie: Skip Norman)

    Quelle: Deutsche Kinemathek | dffb-Archiv | Signatur: F89813_N12697_dffb_001_01

    Produktionsanmeldung für RIFFI (DE 1966, Regie: Skip Norman)
  • Produktionsanmeldung für RIFFI (DE 1966, Regie: Skip Norman)

    Quelle: Deutsche Kinemathek | dffb-Archiv | Signatur: F89813_N12697_dffb_001_03

    Produktionsanmeldung für RIFFI (DE 1966, Regie: Skip Norman)
  • Kalkulation in der Produktionsanmeldung für RIFFI (DE 1966, Regie: Skip Norman)

    Quelle: Deutsche Kinemathek | dffb-Archiv | Signatur: F89813_N12697_dffb_001_04

    Kalkulation in der Produktionsanmeldung für RIFFI (DE 1966, Regie: Skip Norman)
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Holger hatte einen 360-Grad-Kreis mit Schienen bauen lassen und umkreiste darauf mit der Kamera ein nur über Blicke kommunizierendes Paar: Mal steht sie, mal er im Kreis, mal stehen sie außerhalb des Kreise, mal er. Mal schaut die Kamera über die Schulter, mal sind er oder sie in der Subjektive zu sehen. In meiner Erinnerung gibt es keinen Dialog.

Für uns alle waren die Aufnahmen eine große Herausforderung. Die Schienen mussten plan liegen, damit die Kamera gleichmäßig gleiten konnte. Wer im Raum war, musste hinter der Kamera mit im Kreis laufen. Manch einer sagt, dass unser Kameradozent, Michael Ballhaus, sich von diesem „Setting“ zu seinem berühmten 360-Grad-Schwenk hat anregen lassen, mit dem er erstmals in Rainer Werner Fassbinders Film MARTHA (DE 1973) für Überraschung sorgte.

Wir waren fünfunddreißig „Studierende“, begeistert von der Technik und Ästhetik des bewegten Bildes. Unsere Arbeit an den Filmen war vom Mut zum Experiment bestimmt. So lernten wir uns kennen.

Im Dezember 1966 kam es — im Zusammenhang mit den Protesten gegen den Krieg der Amerikaner in Vietnam — zu den ersten größeren politischen Aktionen in der Stadt. Unsere Filme wurden politischer. Einige begannen sich aktiv an der sich bildenden Außerparlamentarischen Opposition (APO) zu beteiligen. Besonders kritisiert wurde die Berichterstattung der Zeitungen aus dem Springer-Konzern, der über die Meinungsführerschaft in West-Berlin verfügte.

Der 16. Januar 1967 war für die Jahreszeit zu warm. Kein Schnee. Im Palais am Funkturm feierten Politik, Wirtschaft und Kultur ihren Presseball unter dem Motto „Maßhalten — Maßnehmen“. Als Berichterstatter war auch ein Filmteam von der dffb angemeldet. In Helke Sanders Film BRECHT DIE MACHT DER MANIPULATEURE (1967/68) sehen wir in einer kurzen Sequenz eine junge Frau in einem Taftkleid mit ausgestelltem Rock, die sich hinter dem Tisch aufstellt, an dem der prominenteste Gast des Abends, Axel Cäsar Springer, sitzt. Aus der Tasche des Tonmanns, Ulrich Knaudt, zieht sie ein Transparent: „Mit Geld Politik machen — mit Politik Geld machen“. Dem Kameramann, Skip Norman, gelang es, die Aktion im Bild festzuhalten. Sehr schnell wurde das Team von Polizisten in Zivil festgenommen und aus dem Saal gebracht. In einer anderen Szene des Films sitzen drei der Filmemacher (Ulrich Knaudt, Helke Sander und Harun Farocki) an einem Tisch und lesen abwechselnd Statements und Gedanken vor. So sagt Knaudt: „Bevor der Regisseur das Gewehr zur Hand nimmt, muss er die Aktion, die den Sturz dieser Gesellschaft vorbereite[t], selbst inszenieren.“ Sander formuliert ihr revolutionäres Anliegen didaktischer: „Mich beschäftigt, wie man Springer dokumentarisch zeigen kann, aber nicht in der Rolle, die er gerne spielen möchte und in der er immer reproduziert wird, sondern in seiner Funktion als Herrschender. […] Springer muss in eine Situation gestellt werden, in der er zwischen Rolle und Funktion wählen muss. Diese Situation müssen wir herbeischaffen und wir müssen die Taktik bestimmen.“

  • Ulrich Knaudt, Helke Sander und Harun Farocki. Das Mirkrofon ist zur/m Kamera/Zuschauer gerichtet

    Framescan aus BRECHT DIE MACHT DER MANIPULATEURE (1967/67, Regie: Helke Sander) | Quelle: Deutsche Kinemathek | dffb-Archiv

    Ulrich Knaudt, Helke Sander und Harun Farocki. Das Mirkrofon ist zur/m Kamera/Zuschauer gerichtet
  • Skip Norman filmt unter erschwerten Bedingungen das Enthüllen des Spruchbandes auf dem Presseball

    Framescan aus BRECHT DIE MACHT DER MANIPULATEURE (1967/67, Regie: Helke Sander) | Quelle: Deutsche Kinemathek | dffb-Archiv

    Skip Norman filmt unter erschwerten Bedingungen das Enthüllen des Spruchbandes auf dem Presseball
  • Skip Norman, Helke Sander und Harun Farocki

    Framescan aus BRECHT DIE MACHT DER MANIPULATEURE (1967/67, Regie: Helke Sander) | Quelle: Deutsche Kinemathek | dffb-Archiv

    Skip Norman, Helke Sander und Harun Farocki
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Später resümiert das Filmteam in den „Kostümen der Bourgeoisie“ — die Herren im Smoking, die Dame im Abendkleid — vor einer weißen Wand stehend seine Heldentat im Chor: „Dann saßen wir fünf Stunden in Haft und haben den Beweis erbracht: Das Verhältnis von Rolle zu Funktion wird nur noch gelöst durch die Revolution.“

Da wurden sie ausgesprochen die Worte, die bald häufiger in dffb-Filmen auftauchten und schnell zu Problemen in der und um die dffb führten: Waffen, Revolution, Taktik — Sturz der Gesellschaft.

Eine Szene des Films SITUATIONEN (1967) von Johannes Beringer wurde in meinem Loft in Kreuzberg gedreht. Drei Männer sitzen um einen Tisch (Skip Norman, Günter Peter Straschek, Holger Meins), einer steht gegenüber (Gerd Conradt) und eine Frau (Lena Conradt) steht mit einem Baby auf dem Arm (Alfa Conradt) am Kopfende und räumt den Tisch ab. Das Kind weint. Die Männer diskutieren über den revolutionären Film. Skip schweigt. Ein Dokument, in dem unsere „Wirklichkeit“, besonders unsere Beziehungen zu Frauen, sichtbar wurde.

  • Gerd Conradt, neben ihm Lena und Alfa Conradt, Holger Meins, Günter Peter Strascheck und Skip Norman

    Framescan aus SITUATIONEN (1967, Regie: Johannes Beringer). Quelle: Deutsche Kinemathek | dffb-Archiv

    Gerd Conradt, neben ihm Lena und Alfa Conradt, Holger Meins, Günter Peter Strascheck und Skip Norman
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Mit Skip als Assistent arbeitete ich als Kameramann an zwei weiteren Erstjahresfilmen. OSKAR LANGENFELD. 12 MAL (1966) von Holger Meins und DER TOD VOM SOKRATES (1967) von Enzio Edschmid. Wir drehten innen und außen, oft war es kalt. Innen setzten wir kleines Licht — wir mussten mit dem Material sparsam umgehen, meist drehten wir im Verhältnis 1:4. Für jeden Film benötigten wir eine Produktionsanmeldung: Drehtage, Technik, Personal, Darsteller, Material, Geld — alles war knapp. Wir drehten auf Negativmaterial, meist starteten wir die Aufnahmen mit der Klappe und mit einer Ansage für den Ton — auch beim Dokumentarfilm. Wir brauchten die Synchronpunkte beim Schnitt und die Angaben, welche Einstellung kopiert oder nicht kopiert werden sollten. „K“ (Kopierer) und „NK“ (nicht Kopierer) stand im Materialbericht für das Kopierwerk, den der Assistent sorgfältig ausfüllen musste.

Bei meinem Film SANTA LUCIA (1967) war Skip der Assistent des Kameramanns Holger Meins. Oft kam Skip nachts zu mir in den Schneideraum, um zu sehen, wie ich den Film montierte. Wir sprachen viel über Montage und den Rhythmus eines Films. Er begeisterte sich für die frühen Filme des russischen und surrealistischen Kinos, von EIN ANDALUSISCHER HUND (FR 1929) von Luis Buñuel waren wir besonders fasziniert. Peter Lilienthal zeigte uns Filme von Jean Vigo, mit denen er uns Mut machte, an unsere eigene Filmsprache zu glauben.

  • Enzio Edschmid, Gerd Conradt, Holger Meins, Skip Norman beim Dreh von SANTA LUCIA (DE 1966)

    Quelle: Privatsammlung Gerd Conradt

    Enzio Edschmid, Gerd Conradt, Holger Meins, Skip Norman beim Dreh von SANTA LUCIA (DE 1966)
  • Holger Meins bei den Dreharbeiten zu SANTA LUCIA (DE 1966)

    Quelle: Privatsammlung Gerd Conradt

    Holger Meins bei den Dreharbeiten zu SANTA LUCIA (DE 1966)
  • Gerd Conradt bei den Dreharbeiten zu seinem Film SANTA LUCIA (DE 1966)

    Quelle: Privatsammlung Gerd Conradt

    Gerd Conradt bei den Dreharbeiten zu seinem Film SANTA LUCIA (DE 1966)
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Am Ende des ersten Studienjahres kam es zu einem schweren Konflikt zwischen der Direktion und uns „Studierenden“. Die dffb war keine Hochschule im öffentlich-rechtlichen Sinn, sondern eine Akademie, die privatrechtlich organisiert war. Die dffb sollte wie eine Firma Geschäfte machen können —, darum waren wir keine Studenten, sondern „Studierende“.

Unsere Leistungen wurden überprüft und nur diejenigen durften weiterstudieren, deren Film diesen Test bestand. Das war uns vorher nicht gesagt worden. Wir verlangten, die Kriterien zu erfahren, anhand derer diese Prüfung vorchgeführt worden war. Sechs „Studierende“ bestanden mit ihren Filmen diese Leistungskontrolle nicht. Die Direktion war nicht bereit, mit uns über ihre Entscheidung zu diskutieren und wir vermuteten, dass es sich bei denen, die „durchgefallen“ waren, um diejenigen handelte, die sich politisch hervorgetan hatten. Es gab viele Proteste, speziell auf den Internationalen Filmfestspielen in Berlin, die damals noch im Sommer stattfanden. Am Ende gab die Direktion nach ‒, alle durften weiterstudieren, niemand musste die Akademie verlassen. Es wurde sogar ein Akademischer Rat eingerichtet, in dem Direktion, Dozenten und „Studierende“ zukünftig drittelparitätisch über die Geschicke der dffb entscheiden wollten ‒ in wahrhaft revolutionärer Akt der Demokratisierung.

Am 2. Juni 1967 besuchten der persische Schah Mohammed Reza Pahlavi und seine Frau Farah Berlin. Der Staatsbesuch war begleitet von Demonstrationen, in deren Verlauf der Student Benno Ohnesorg von der Polizei erschossen wurde. Thomas Giefer, „Studierender“ im zweiten Studienjahr, hatte viele der Ereignisse mit seiner 16-mm-Bolex festgehalten. Zusammen mit Rüdiger Minow, der auch in der Regieklasse von Peter Lilienthal war, stellte er den Film BERLIN – 2. JUNI '67 (1967) zusammen. Kameramann war Skip Norman. Der Film wurde auf dem Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm mit einer „Silbernen Taube“ ausgezeichnet. Wir waren beeindruckt — auch die Direktion. Der künstlerische Direktor, Erwin Leiser, gratulierte den Filmemachern zu dieser bedeutsamen Ehrung.

Unsere Filme wurden radikaler — nicht nur ideologisch, sondern insbesondere auch in ihrer Filmsprache. Wir dachten uns neue Filme aus und waren in der privilegierten Situation, sie sofort drehen zu können. Andy Warhol und die Pop-Art, die Beatles, die Rolling Stones, Jimmy Hendrix, die Doors — und Drogen ‒ „erweiterten“ unser Bewusstsein.

Im Februar 1968 bekamen wir unsere erste Rolle Farbfilm: Umkehrmaterial. Daher gab es kein Negativ. Das, was gedreht wurde, war — wie bei Polaroids auch — ein fertiges Positiv. Ich drehte FARBTEST – DIE ROTE FAHNE (1968), Skip war der Assistent von unserem Dozent Völsen, der die Kamera machte.

Skips zweiter Film, BLUES PEOPLE (1969), im Oktober 1969 gedreht, wurde ein großer Erfolg. Für die Nacktszenen arbeiteten Skip und seine Darstellerin Li Antes mit dem mexikanischen Kameramann Carlos Bustamante zusammen, der Student im zweiten Jahrgang war. Sie trafen sich an einem Wochenende und zogen sich, um sich auf die intimen Aufnahmen konzentrieren zu können, völlig zurück.

  • Der Regisseur und Darsteller Skip Norman blickt durch einen Schlitz in die Kamera

    Framescan aus BLUES PEOPLE (1969, Regie: Skip Norman). Quelle: Deutsche Kinemathek | dffb-Archiv

    Der Regisseur und Darsteller Skip Norman blickt durch einen Schlitz in die Kamera
  • Li Antes und Skip Norman schlafen miteinander

    Framescan aus BLUES PEOPLE (1969, Regie: Skip Norman). Quelle: Deutsche Kinemathek | dffb-Archiv

    Li Antes und Skip Norman schlafen miteinander
  • Die Darstellerin Li Antes blickt durch einen Schlitz in die Kamera

    Framescan aus BLUES PEOPLE (1969, Regie: Skip Norman). Quelle: Deutsche Kinemathek | dffb-Archiv

    Die Darstellerin Li Antes blickt durch einen Schlitz in die Kamera
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Hans Günter Pflaum schrieb im März 1969 anlässlich der Premiere von BLUES PEOPLE auf den XV. Westdeutschen Kurzfilmtagen in Oberhausen: „Der stärkste Film, nicht nur des deutschen Programms, sondern des Festivals überhaupt, war für mich ‚Blues People‘ von Skip Norman. Dem an der Deutschen Film- und Fernsehakademie studierenden Amerikaner (Jahrgang 1933) ist etwas gelungen, was selbst großen Filmemachern wie Murnau oder Eisenstein nur in wenigen Fällen glückte. Norman stellt Widersprüche gegeneinander, nicht um sie aufzuheben oder zu versöhnen, sondern um ein uraltes Unrecht und einen großen Zwiespalt sinnlich und konkret fassbar zu machen. Klang und Texte des Blues stimmen den Film ein, geben ihm eine Aura von Trauer und Melancholie. Norman vollzieht mit seinem Film eine Operation: er entbindet den Blues der in ihm wohnenden Aggressivität. Dazu bedient der Regisseur sich eines avancierten Zeichens: des Zusammenseins eines schwarzen Mannes mit einer weißen Frau. Das hat mit Pornografie nichts zu tun, Norman konnte keine anderen Bilder wählen, sie sind durch und durch legitim. Denn nur mit dieser Radikalität konnte klar gemacht werden, dass auch die Vereinigung von zwei Menschen nicht die gesellschaftlich und politisch bedingte Kluft zwischen den Rassen aufheben kann. ‚Blues People‘ muss zwangsläufig ein Agitationsfilm werden. Aber der Ruf zur Aktion ist mit äußerster lyrischer Kraft und Sensibilität formuliert.“5

Der Film wurde vom Dritten Fernsehprogramm des WDR angekauft. Der Bayerische Rundfunk verweigerte die Ausstrahlung mit der Behauptung, bei den im Film gezeigten Aufnahmen von Gesäß und Geschlechtsteilen (Brüsten, Vagina, Penis) einer weißen Frau und eines schwarzen Mannes handele es sich um Pornografie.

Der Filmwissenschaftler Dr. Gerd Albrecht, der an der dffb Filmanalyse unterrichtete und die meisten Studenten und deren Filme gut kannte, schrieb in einem beispielhaften Gutachten: „Der Film hat eine Länge von rund 17 Minuten und besteht aus 53 Einstellungen. Im Durchschnitt sind demnach die Einstellungen ausgesprochen lang. Was die Bilder zeigen, ist dementsprechend wenigstens teilweise sehr lange zu besichtigen. Hierbei ist zu erwähnen, daß lange Einstellungen — ceteris paribus! — größere Identifikationsanreize geben. Zu sehen sind während des Films sechs Gegenstandsbereiche, die sich nicht geschlossen begegnen, sondern in verschiedener Weise miteinander verknüpft sind. […] Die Intimszenen umfassen demnach rund ein Viertel des Films. […] Der in der Struktur wie im Inhalt des Films sichtbare Gestaltungswille weist demnach deutlich auf die Darstellung des Zusammenhangs von Sexualität, Aggressivität und Vorurteil hin — eine Thematik, die im Titel ‚Blues People‘ bereits anklingt. Zur Debatte steht hier nicht, wieweit die Gestaltung als gelungen bezeichnet werden kann, da letzteres für den Pornographie-Vorwurf unerheblich ist. […] Es ist abschließend festzustellen, dass auf Grund der Analyse unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung die Frage, ob es sich bei ‚Blues People‘ um Pornografie handelt, mit NEIN zu beantworten ist.“6

Wie es um die Stimmung im Zusammenhang mit der Rassismus-Frage in Deutschland stand, zeigt eine Anmerkung aus dem Handelsblatt vom März 1969: „Einen in Oberhausen hoch gelobten Film wie ‚Blues People‘ kann ich deshalb nicht akzeptieren, weil ich nicht einzusehen vermag, dass die detaillierte Darstellung eines Geschlechtsaktes notwendig ist, um auf das Negerproblem in Amerika aufmerksam zu machen.“7

Bei der Recherche zu diesem Text über Skip hat mir Helke Sander folgende Geschichte erzählt: Skip, Enzio und Helke saßen in einem Café am Theodor-Heuss-Platz gegenüber der dffb. Im Nahen Osten war Krieg, die arabischen Staaten kämpften gegen Israel im Sechstagekrieg. Helke zu Enzio: „Ab jetzt muss in jedem neuen Jahrgang mindestens eine Frau, ein Jude und ein Neger sein.“ Skip protestierte: „Das Wort Neger ist diskriminierend — wir sagen jetzt Schwarze.“

Skips Abschluss- bzw. Diplomfilm trägt den Titel STRANGE FRUIT (1969). Im Mittelpunkt steht der Auftritt von Bobby Seale — einem der Gründer der Black Panther Party (BPP) — auf einer Versammlung in Kopenhagen. Die Black Panther gehörten zu den Afroamerikanern, die nicht nur „Black is beautiful“ propagierten, sondern für sich das Recht auf Macht und Waffen in Anspruch nahmen — und zum Guerillakampf aufriefen. Sie traten in der Öffentlichkeit schwarz gekleidet auf, mit Barett auf dem Kopf, Lederjacke, Handschuhen, Militärstiefeln und einer Maschinenpistole über der Schulter.

Strange Fruit“ ist der Titel eines alten Blues-Songs, in dem von „seltsamen Früchten, die an Pappeln hängen“ die Rede ist, nämlich von gelynchten Schwarzen Menschen. Skip montierte für den Film Ausschnitte aus der Rede von Bobby Seale und Fotos von erhängten Schwarzen Menschen mit Aufnahmen von US-Militäreinrichtungen in Berlin-Dahlem — es handelte sich um die den „Barracks“ (Knen) und das Headquarter des US-Militärs in der Clayallee in Berlin-Dahlem. Unterlegt sind die Aufnahmen mit dem Song „Strange Fruit“, der hier in seiner berühmtesten Interpretation, nämlich der von Billie Holiday, zu hören ist. Typisch für die politischen Filme dieser Zeit arbeitete er mit Schrifttafeln als dramaturgischem Element. Die Titel fassen zusammen, unterstreichen, spielen mit Worten — sie sind oft Parolen. „Genuine self–determination for blacks and other oppressed ethnic groups cannot be achieved in the frame–work of capitalism, imperialism and racism“.

STRANGE FRUIT wurde zusammen mit einer Arbeit, die Skip im Anschluss an sein Studium in seiner Heimatstadt gedreht hatte, WASHINGTON DC NOVEMBER 1970 (1970), vom WDR im August 1971 ausgestrahlt. Der Film ist ein wertvolles Dokument. Laut Produktionsanmeldung kostete er 9.681,28 DM — es wurde auf den Pfennig genau kalkuliert.

  • Bobby Seale — einer der Gründer der Black Panther Party (BPP) hält eine Rede

    Framescan aus STRANGE FRUIT (DE 1969, Regie: Skip Norman). Quelle: Deutsche Kinemathek | dffb-Archiv

    Bobby Seale — einer der Gründer der Black Panther Party (BPP) hält eine Rede
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Nach dem Prinzip „One Day, one shot“ („Ein Tag, eine Einstellung“) wurde Skips Film CULTURAL NATIONALISM (1969) gedreht. Wir sehen eine weiße Fläche, der Horizont ist ein schwarzer Strich unter dem grauen Himmel. Wir hören die Stimme von Bobby Seale. Er spricht über die Unterdrückung der Afroamerikaner in den USA, er zitiert den französischen Psychiater, Politiker und Vordenker der Entkolonialisierung Frantz Fanon (1925-1961). Nach ungefähr sechs Minuten gibt es einen kaum merkbaren Schnitt. Ab da nähert sich ein kleiner dunkler Punkt langsam der Kamera — am Ende sehen wir in das unsicher lächelnde Gesicht eines schwarzen Jungen. Ein genialer Film, den Skip, gewissermaßen als Stilübung, auf dem zugefrorenen, mit glitzerndem Schnee bedeckten Wannsee gedreht hat.

Der 27. November 1968 war ein schwarzer Tag in der Geschichte der dffb: Siebzehn „Studierende“ erhielten Hausverbot und ihre Ausbildungsverträge wurden gekündigt. Ich war einer von ihnen. Mein Kontakt zu den an der dffb verbliebenen Studenten brach ab — so auch der zu Skip.

  • Ein Kind stampft durch den Schnee auf die Kamera zu

    Framescan aus CULTURAL NATIONALISM (1968/69, Regie: Skip Norman). Quelle: Deutsche Kinemathek | dffb-Archiv

    Ein Kind stampft durch den Schnee auf die Kamera zu
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2001 drehte ich den Kinodokumentarfilm STARBUCK — HOLGER MEINS (DE 2001). Zweimal ist Skip im Film zu sehen: Schweigend in der Szene in meinem Loft, wo wir über den revolutionären Film diskutieren und in einer Szene aus dem Film JOHNSON & CO. UND DER FELDZUG GEGEN DIE ARMUT (1968) von Hartmut Bitomsky, in dem er in der Rolle eines „Arbeiters“ von Ausbeutung spricht.

Skip sah den Film und lud mich im Herbst 2002 nach Nordzypern ein, wo er seit 1996 an der Faculty of Communication and Media Studies der Eastern Mediterranean University (EMU), als Professor für Ethnografische Fotografie lehrte.

Das traf sich gut, denn ich wollte schon immer den Nordteil Zyperns kennenlernen, der 1974 von der Türkei annektiert worden war. Lawrence Durrells Buch „Bittere Limonen“ (1957) hatte mich auf die märchenhafte Insel neugierig gemacht.

1975 war Skip zurück in die USA gegangen, als Filmkünstler konnte er in Deutschland nicht überleben. In den USA drehte er Filme als Auftragsarbeiten von Universitäten oder öffentlichen Einrichtungen und arbeitete als Fotograf. Parallel begann er in Columbus an der Ohio State University ein Studium der Anthropologie, das er 1980 mit einem Doktortitel abschloss.

Ab dem Zeitpunkt verband er seine Leidenschaft für das Bild — als Fotograf und Kameramann — mit seinem Interesse am Leben der Menschen, der Anthropologie.

Mit „Mensch Gerd, das hätte ich nicht gedacht, dass du mich tatsächlich besuchen kommst“, begrüßte er mich auf dem Rollfeld. Es war so, als ob zwischen dieser und unserer letzten Begegnung nicht dreißig Jahre gelegen hätten. Mit seinem alten weißen Mercedes schaukelte er mich langsam durch die laue Nacht der Mittelmeerinsel nach Hause. Ich wollte noch ausgehen, aber er sagte, wir seien in einem muslimischen Land, nicht in Berlin, wo Kneipen bis zum frühen Morgen aufhaben. Zur Begrüßung gab es Kräutertee. Am nächsten Tag besuchte ich ihn in der Universität und er lud mich zum Essen in die Mensa ein. Am Abend sprachen wir über früher und ich erfuhr vieles, was ich von seiner Filmarbeit noch nicht gewusst hatte.

An der dffb war Skip vermutlich einer der fleißigsten „Studierenden“ — er war an der Herstellung von insgesamt 27 dffb–Filmen beteiligt. Nach dem Abschluss des Studiums arbeitete er als Kameramann an einigen wichtigen Filmen mit: KENNEN SIE FERNSEHEN? (1973) von Malte Ludin, 1 BERLIN-HARLEM (DE 1974) von Lothar Lambert und Wolfram Zobus, „Warms-Up“ (1975) von Allan Kaprow und GLUTMENSCH (DE 1975) von Jonatan Briel, bei dem Skip Normans Handschrift als Bildgestalter deutlich zu spüren ist. Der Film ist ein Künstlerportrait über den Dichter Friedrich Hebbel, das in seiner poetischen Bildsprache und experimentellen Montage selbst zu einem Kunstwerk geworden ist.

1974 und 1975 erhielt Skip jeweils einen Lehrauftrag für Technik und Kunst der Kameraführung an der dffb. Für sein neues Studium der Anthropologie in den USA bat Skip Norman den damaligen Direktor der dffb, Dr. Heinz Rathsack, um einen Tätigkeitsnachweis. Dieser schreibt:

„Die verschiedenen Produktionen, die Sie als Autor und Regisseur in eigener Verantwortung hergestellt haben, dokumentieren, dass Sie über alle Fähigkeiten und auch über das notwendige Organisationstalent verfügen, die erforderlich sind, Filme selbst unter schwierigsten Umständen zu realisieren. – Während Ihrer Lehrtätigkeit an unserer Akademie haben Sie darüber hinaus pädagogisches Talent bewiesen und sich mit gleicher Intensität sowohl um die Vermittlung Ihrer technischen Kenntnisse als auch Ihrer künstlerischen Erfahrungen bemüht. Es ist mir ein aufrichtiges Bedürfnis, Ihnen zum Abschied zu sagen, dass ich in den vergangenen neun Jahren sehr gerne mit Ihnen zusammengearbeitet habe und dass ich mich Ihnen wegen der Offenheit und Aufrichtigkeit, mit der Sie mir stets begegnet sind, freundschaftlich verbunden fühle.“8

Helke Sander hat mir noch eine Geschichte erzählt, die dazu führte, dass sie mit Skip Norman sowie mit Alexandra Kollontai (1872−1957), der russischen Frauenrechtlerin und „Volkskommissarin für das Erziehungswesen“, auf das Cover von „Frauen und Film“ kam.9 Helke drehte am 15. Februar 1975 eine Aktion zum § 218 vor der Gedächtniskirche. Demonstrantinnen hatten abwaschbare rote Farbe als Symbol für das Blut, das bei illegalen Abtreibungen fließt, über den Stufen vor der Kirche vergossen. Als die Polizei Helke bei ihrer journalistischen Arbeit behinderte, sie festnehmen und ihre Geräte beschlagnahmen wollte, entdeckte sie unter den Zuschauern Skip — mit einem Fotoapparat in der Hand. Sie rief: „Skip, fotografiere!“ Skip war gerade mit dem Zug nach Berlin gekommen und zufällig am Ort des Geschehens. Da er die Reporterin Helke Sander zu kennen schien und anscheinend für sie fotografierte, wurde er gleich mit festgenommen.

Für Nordzypern ist der 22. April 2002 ein großer Tag — ich beobachte mit meiner DV-Kamera Skip bei der Arbeit. Mit viel Prominenz wurde die neue Moschee, die zugleich auch die größte in Nordzypern sein sollte, in Nordzypern eingeweiht. Skip fotografierte und begrüßte Vertreter von Staat und Religion – Professor für Anthropologie an der EMU ist war er bekannt und gerne gesehen. Meine Aufnahmen davon zeigen Skip bei der Arbeit: Er posierte für meine Kamera, wußte, dass ich ihn beobachtete — schönes, noch nicht veröffentlichtes Dokument.

Am Abend vor meiner Abreise fuhren wir in das Dorf, in dem Lawrence Durrell, der in „Bittere Limonen“ das vielschichtige Zusammenleben zwischen türkischen und griechischen Zyprioten in den 1950er Jahren beschreibt, gelebt hatte.

Während meines Aufenthaltes hatte ich immer wieder daran gedacht, mit Skip noch ein Interview zu seiner Zeit an der dffb zu machen. Am Straßenrand fanden wir dann an diesem letzten Abend ein kleines Lokal, in dem wir nicht nur guten Fisch essen konnten, sondern der Wirt uns auch erlaubte, in seinem leeren Gastraum nicht nur das Interview zu drehen, sondern auch Feuer im Kamin zu machen — das Feuer im Bild sorgte für eine warme Atmosphäre. Etwas verbrennt, etwas Neues entsteht.

„Als uns Peter Lilienthal am Anfang fragte, welches Filmhandwerk wir erlernen wollten — Regie, Kamera, Produktion, Schnitt? — sagte Holger Meins: ‚Das Handwerk ist nicht das Wichtigste. Wichtig ist, was wir sagen wollen – wir sind doch alle Filmemacher!‘“10 Das habe ihn beeindruckt, erzählte Skip im Interview. Holger Meins war es, der Skip, als dieser zum Studium nach Berlin kam und noch kein Zimmer hatte, anbot, bei ihm in einem Hochbett „unter der Zimmerdecke“ zu wohnen. „Wir waren alle sehr konzentriert auf die Filmarbeit, privat wussten wir wenig voneinander. Wir waren junge Leute, die etwas in sich finden wollten, das sie im Film ausdrücken wollten. Wir zeigten uns unsere Talente“, sagte Skip.11 „Unter den Studenten gab es Ideologen, die konnten andere beeinflussen, so dass sie mit ihren eigenen künstlerischen Bedürfnissen in Konflikt kamen. Bald hieß es: ‚Du bist ein Teil des Problems oder ein Teil der Lösung!‘“ […] „Ich fand das richtig, dass man gegen diesen Krieg in Vietnam war.“ […] „Im zweiten Jahr waren fast alle Filme politisch geworden. Filme wurden zu Parolen — weniger zu Kunstwerken.“ „[…] Man durfte nicht mehr nur noch reden, sondern musste zeigen, dass man ganz vorne stand."12

Am 13. März 2015 postete ich das Interview auf YouTube.13 Mit einigen anderen Absolventen kümmere ich mich um die Geschichte der dffb — 2016 wird sie 50 Jahre alt. Die Veröffentlichung des Interviews sah ich als einen Beitrag zu dieser Arbeit. Insgeheim hoffte ich, dass Skip davon erfährt, es sieht und sich meldet. Eine Woche später erhielt ich per E-Mail die Nachricht, dass Skip nur einige Tage später, nämlich am 18. März 2015, im Haus seiner Eltern in Washington D.C. verstorben war.

Willy Brandt, der die dffb eröffnet hat, schätzte Martin Luther King sehr: „Sein nobles Pathos, seine moralische Kraft wirkten über die Sprachbarriere hinweg“, betonte er als Außenminister, als King im April 1968 ermordet worden war und die Black Panther das Prinzip der Gewaltfreiheit für gescheitert erklärten und Häuser in hunderten von Städten in den USA in den folgenden Tagen in Flammen aufgingen.14 Kings Traum, dass die „Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter“ an einem Tisch sitzen, scheiterte.15

In Baltimore, der Geburtsstadt von Skip Norman, liegt der Dichter Edgar Allan Poe (1809–1849) begraben, dessen Gedicht vom Raben „Nevermore“ Skip gerne zitierte. Zusammen waren wir 1968 beim legendären Konzert von Frank Zappa und seiner Rockband „The Mothers of Invention“ im Berliner Sportpalast. Zappa wurde, wie Skip auch, in Baltimore geboren.

Erst jetzt habe ich die Geschichte vom Briefträger William Lewis Moore aus Baltimore entdeckt. Moore war Bürgerrechtler: Auf Märschen durch die USA protestierte er gegen den Rassismus, er verteilte Briefe und trug auf seinem letzten Protestmarsch zwei Schilder: „END SEGREGATION IN AMERICA (Beendet die Rassentrennung in Amerika)“ und „EQUAL RIGHTS FOR ALL MEN (Gleiches Recht für alle Menschen)“. Am 23. April 1963 fand ein Motorradfahrer Moore tot neben einer Straße liegend. Er war aus nächster Nähe mit drei Schüssen aus einem 22-Kaliber-Gewehr in die Stirn geschossen worden. Der Dichter Wolf Biermann verarbeitete Moores Geschichte in der „Ballade vom Briefträger William L. Moore aus Baltimore“. In einer Zeile von Biermanns Lied heißt es: „Black And White, Unite! Unite!“

  • Skip Norman im Interview mit Gerd Conradt auf Zypern 2002

    Skip Norman im Gespräch mit Gerd Conradt. 22. November 2002. Nordzypern. URL: https://www.youtube.com/watch?v=FFG0Dlm-Ln8 (abgerufen am 21.07.2015).

    Skip Norman im Interview mit Gerd Conradt auf Zypern 2002
1 Abbildungen

Dank

Für die Unterstützung und Anregungen danke ich:

Jael Geis, Hedwig Korte, Elsa Rassbach, Helke Sander, Mira Thorton, Carlos Bustamante, Thomas Giefer sowie Ronald Steckel.

Über den Autor

Gerd Conradt (*1941). 1966-68 Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb). Seit 1982 freiberuflich tätig als Regisseur, Autor, Kameramann und Produzent. Conradts Filme und Videoprogramme sind meist Porträts — konzeptionell gestaltete Zeitbilder, oft als Langzeitdokumentationen. Themenschwerpunkte seiner Arbeiten sind: Berliner Stadtgeschichte, Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands, Studentenbewegung (RAF) — „Poesie-Videos“ und „Videobriefe“ als Unterrichtsfilme und Videoinstallationen. Mitarbeit an Zeitschriften, Lehrtätigkeit an diversen Hochschulen (Salzburg, Hildesheim, Magdeburg, Berlin, Peking).

Filme: 
„Über Holger Meins“, 1982“. „Der Videopionier“, 1984. „Fernsehgrüße von West nach Ost“, 1986. „Ein-Blick“, 1987. „BlaubeerWald“, 1990. „Hold Me, Love Me – Irene Moessinger und das Tempodrom“, 1995. „Dygyldai“, 1997. „Menschen und Steine“, 1998. „blick.berlin.dok“, 2000. „Starbuck – Holger Meins“, 2002. „Rettet Berlin!“, 2003. „Monte-Klamotte“, 2005. „Die Spree – Sinfonie eines Flusses“, 2007. „Farbtest.6“, 2008. „Atem – Spiegel der Seele“, 2009.
„Farbtest.10“, „ARIRANG – Letter to Barack“. 2011 „Mauerweg Stafette“, 2012/13 „Video Vertov“.

Bücher:
„Starbuck – Holger Meins, ein Porträt als Zeitbild“, Espresso Verlag, 2001. 
„Starbuck – Il Corpo come Arma, Vita e morti di Holger Meins“, Zambon, 2013.
„An der Spree – der Fluss, die Menschen“, Transit Verlag, 2005.

  • 1 Frances Stead Sellers: Life and death in Bulletmore Murderland. In: The Guardian. 17. Januar 2008. URL: http://www.theguardian.com/commentisfree/2008/jan/17/bulletmoremurderland (abgerufen am 1.07.2015).
  • 2 „Separate but equal“ galt als sozialer und juristischer Grundsatz, der von 1896 bis 1954 in den Südstaaten den als Rassentrennung bezeichneten Umgang mit der afroamerikanischen Minderheit und das Verhältnis zwischen den beiden wichtigsten Bevölkerungsgruppen definierte.
  • 3 Quelle: Deutsche Kinemathek. dffb-Archiv. Signatur Mappe: N12697_dffb NORMAN, Skip.
  • 4 Quelle: Deutsche Kinemathek. dffb-Archiv. Signatur Mappe: N12697_dffb NORMAN, Skip.
  • 5 Günter Pflaum: XV. Westdeutsche Kurzfilmtage in Oberhausen. 23- bis 29. März. In: Jugend, Film, Fernsehen. 2/69. S. 98. Enthalten in der Produktionsakte zu BLUES PEOPLE. Quelle: Deutsche Kinemathek. dffb-Archiv. Signatur: F35314_N12697_dffb.
  • 6 Gerd Albrecht: Analyse des Films „Blues People“ unter dem Aspekt „Handelt es sich um Pornographie?“. Seite 1–7. Enthalten in der Produktionsakte zu BLUES PEOPLE. Quelle: Deutsche Kinemathek. dffb-Archiv. Signatur: F35314_N12697_01 bis 07.
  • 7 Ausschnitt aus einer Rezension zu BLUES PEOPLE aus dem Handelsblatt vom 25. März 1969. Enthalten in der Produktionsakte zu BLUES PEOPLE. Quelle: Deutsche Kinemathek. dffb-Archiv. Signatur: F35314_N12697.
  • 8 Deutsche Kinemathek. dffb-Archiv. Signatur Mappe: N12697_dffb NORMAN, Skip.
  • 9 Titelbildbild. Frauen und Film. 1975. Heft 5. URL: http://www.frauenundfilm.de/?site=hefte&rid=5 (online abgerufen am: 18.08.2015).
  • 10 Skip Norman im Gespräch mit Gerd Conradt. 22. November 2002. Nordzypern. URL: https://www.youtube.com/watch?v=FFG0Dlm-Ln8 (abgerufen am 21.07.2015).
  • 11 Skip Norman im Gespräch mit Gerd Conradt. 22. November 2002. Nordzypern. URL: https://www.youtube.com/watch?v=FFG0Dlm-Ln8 (abgerufen am 21.07.2015).
  • 12 Skip Norman im Gespräch mit Gerd Conradt. 22. November 2002. Nordzypern. URL: https://www.youtube.com/watch?v=FFG0Dlm-Ln8 (abgerufen am 21.07.2015).
  • 13 Skip Norman im Gespräch mit Gerd Conradt. 22. November 2002. Nordzypern. URL: https://www.youtube.com/watch?v=FFG0Dlm-Ln8 (abgerufen am 21.07.2015).
  • 14 In: DIE ZEIT, 13. Mai 2015, Seite 17.
  • 15 „Ich habe einen Traum, dass eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können.“ Auszug aus: Martin Luther King: I have a Dream. Abschlussrede vor dem Lincoln Memorial anlässlich des Marschs auf Washington für Arbeit und Freiheit. 28. August 1963. Washington D. C. DIE ZEIT, 13. Mai 2015, Seite 17.

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