DEUTSCHE KINEMATHEK MUSEUM FÜR FILM UND FERNSEHEN
Über das Projekt

Thema

Transnationales Lernen

von Madeleine Bernstorff

An einigen beispielhaften Biografien, Gesprächen, Filmen und Archivmaterialien geht dieser Text der Frage nach, wie transnationales Lernen an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) ausgesehen hat beziehungsweise ausgesehen haben könnte. Sich vor allem auf die Studierenden, die aus dem Ausland an die dffb kamen und weiterhin kommen, zu konzentrieren, ist hierbei kein unproblematisches Verfahren. Es holt eine heterogene Gruppe, die in der Geschichtsschreibung der dffb eher unsichtbar geblieben ist, in den Blick und setzt sich damit der Gefahr aus, ein Denken in Schubladen bis hin zu Stigmatisierungen weiterzuschreiben und zu verfestigen.

Der Beginn meiner Recherche reicht zurück bis in die frühen 1990er Jahren, als sich mir mit der hartnäckigen Leugnung Deutschlands, ein Einwanderungsland zu sein, eines Staatsbürgerschaftsrechtes, das nach wie vor auf Prämissen des Abstammungsprinzips („ius sanguinis“) beruhte und das Geburtsortsprinzip („ius solis“) nicht anerkannte, einer repressiven Änderung des Asylrechts und den rassistischen Pogromen der Nachwendezeit dringlich die Notwendigkeit stellte, über Filme nachzudenken, die in Deutschland von Migranten und vor allem von Migrantinnen1 hergestellt wurden. Dabei stieß ich seinerzeit auch auf Filme mehrerer dffb-Studentinnen – Sema Poyraz, Yingli Ma, Wanjiru Kinyanjui, Tsitsi Dangarembga –, die transnationale Verhältnisse thematisierten sowie einen subjektiven, präzisen, kritischen Blick auch auf gesellschaftliche Verhältnisse hierzulande warfen. Im fortwährenden Bewusstsein der Ambivalenz meines Vorhabens setze ich meine Recherche nun an dieser Stelle fort.

Programm Weltläufigkeit

Eine gewisse Weltläufigkeit war Programm der neu gegründeten Filmakademie in West-Berlin. 1963 hatte Heinz Rathsack (vgl. den Beitrag über Heinz Rathsack von F. Lang), der spätere Gründungsdirektor der dffb, in einer Studie die vier europäischen Filmhochschulen in Rom, Paris, Madrid und Łódź miteinander verglichen und dabei auch den Anteil der ausländischen Studierenden positiv hervorgehoben. Für das IDHEC2 in Paris nennt er die Zahl von 681 Alumni seit der Gründung im Jahr 1944, von denen 307 aus anderen Ländern nach Frankreich gekommen waren; bis zum Jahr 1960 hatten Studenten aus 58 Ländern diese Filmschule besucht. „Schon diese Zahl vermittelt einen Eindruck, in welch hohem Maße dieses Institut über Frankreich hinaus wirkt. Das Verzeichnis der ehemaligen Schüler zeigt weiter, dass neben den USA und Brasilien die afrikanischen und asiatischen Staaten die meisten ausländischen Studenten des IDHEC stellen.“3

West-Berlins besondere Rolle im Kalten Krieg erforderte ein prestigeträchtiges Programm in Konkurrenz zum „Ostblock“, wo vor allem die Filmausbildung an der 1919 gegründeten VGIK4 in Moskau richtungsweisend war; unter anderem studierten dort Sarah Maldoror aus Guadeloupe, Ousmane Sembène aus dem Senegal, Souleimane Cissé aus Mali und später Abderahmane Sissako aus Mauretanien sowie einige Filmemacherinnen und Filmemacher aus der DDR. Auch an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) in Potsdam-Babelsberg5 gab es zu DDR-Zeiten viele Studierende beispielsweise aus Vietnam, Chile, Israel oder Bulgarien6 sowie aus arabischen und afrikanischen Staaten – den sich vom Kolonialismus freiringenden (Bruder-)Ländern. So drehte in Babelsberg Mohand Ali Yahia 1962 seinen Diplomfilm DIE FRAGE über Folter im Algerienkrieg und interviewte Henri Alleg, Autor des Buches „La Question“,7 der in Frankreich wegen dieser Publikation verfolgt wurde.

Vor den Türen der Akademie die „Dritte Welt“?

Für den ersten Jahrgang der dffb hatte es 800 Bewerbungen gegeben. Mit dem Politisierungsschub nach dem gewaltsamen Tod Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 wurden die Hoffnungen auf ein Kino, das ästhetische und politische Wirkung nicht voneinander trennen wollte, drängender.8 Auch Fragen nach der gesellschaftlichen Klassenzugehörigkeit der Studierenden wurden gestellt. In einem Papier des Dokumentarfilmers Klaus Wildenhahn zur „Aufnahmeprüfung 70 und die Zeit danach9 stellt der ab 1968 an der dffb Lehrende10 die Ziele der kommenden Aufnahmeprüfung zur Debatte und fordert, „Bewerber aufzunehmen, die in ihrer Verteilung den beruflichen und gesellschaftlichen Bereichen vor den Türen der Akademie entsprechen. Es hat eine Berücksichtigung der Schichten zu erfolgen, die an der Lösung und dem Aufzeigen politischer Probleme aus Eigennutz interessiert sind. Es sollten Filme über Lohnempfänger, Arbeitnehmer, Unterdrückung etc.p.p. nicht mehr entstehen, ohne dass Autoren mitarbeiten, die entsprechende Erfahrungen gemacht haben.“ Er denkt hier über die problematische Stellvertreterfunktion vieler Filme nach, die der angestrebten Selbstartikulation der politischen Subjekte entgegensteht, wie sie infolge der allgemeinen Politisierung der Nach-1968er-Jahre eine der zentralen Forderungen war.11

Weiter gehe es also darum „sich über einen Schlüssel klarzuwerden, nach dem Studienplätze nach Herkommensgruppen aufgeteilt werden, und wie diese anzusprechen seien“. Zu den „1. privilegierten Bildungsträgern“, die nicht völlig außer Acht zu lassen seien, sollten zweitens Studierende aus dem Teil der Mittelschicht aufgenommen werden, „der den besonderen Sinnlosigkeiten des mobilen und verdinglichten Angestelltendaseins unterliegt [...]: Verwaltungsangestellte, Bankangestellte, kaufmännische Angestellte, sowie 3. die im Bildungsweg Unterprivilegierten. Ansatzpunkt: Industriegewerkschaften.“ Und als letzten Punkt schlägt er vor: „4. Dritte Welt.12 Vorschlag: dem argentinischen Kreis um [Fernando E.] Solanas13 drei Freistellen anzubieten. Befreiung von Vorauswahl und Auswahl.“ Der dffb-Student Johannes Beringer erzählt von einer Vorführung des paradigmatischen Films LA HORA DE LOS HORNOS (AR/CU 1968) von Solanas auf dem Festival von Pesaro: „Nach der Projektion [...] und angeheizt vor allem durch die Ché Guevara-Sequenz im Schlussteil (das Foto des toten Ché war zu diesem Zeitpunkt bereits durch die Presse gegangen) schlug die ‚revolutionäre‘ Stimmung hohe Wellen: ich weiß noch, wie erhitzt und tatendurstig wir gegen Abend aus dem bis zum letzten Platz besetzten Kinosaal kamen […].“14

Die „Freistellen“, das heißt Studienplätze für Studenten aus dem Kreis um Fernando Solanas, gab es nicht. Und auch einige wenige Nachkommen der ersten Generation von Arbeitsmigranten kamen erst viel später an die Filmakademie. Einiges klingt gerade in der Frühzeit der dffb nach „tokenism“, nach symbolischer Alibifunktion. Dennoch sind in der Geschichte der dffb von den „ausländischen“ Studierenden enorme Impulse ausgegangen, die (wie bei den anderen auch) nicht immer zu verwertbaren, kanonisierten „Ausbildungsproduktionen“ führten, aber das Lernklima prägten und eine spezifische Internationalität und Diskussionskultur etablierten. Sie vermittelten – vor allem in der Anfangszeit der dffb – den deutschen Kommilitonen Einblicke in die politischen Zusammenhänge anderer Länder, wie zum Beispiel in die anhaltenden internationalistischen Kämpfe der Befreiungsbewegungen, und schufen so ein praktisches Bewusstsein für kulturelle Differenzen und Gemeinsamkeiten.

Viele Studierende erzählen, vor allem von ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen gelernt zu haben. In den Ausbildungsproduktionen arbeitete man zusammen und machte gemeinsam (film-)praktische Erfahrungen. Die Auseinandersetzungen über das Filmemachen fanden bei den Dreharbeiten, in den Schneideräumen, bei Abnahmen und in Seminaren statt. Dozenten trugen das Ihre dazu bei. Im ersten Jahr hielten unter anderem Jean-Marie Straub, Mauricio Kagel, Gordon Hitchins – Gründer der amerikanischen Zeitschrift „Film Comment“ – und Evald Schorm Gastvorträge. Helmut Färber unterrichtete bis in die 2000er Jahre und wies in seinen Seminaren dezidiert auf nichtwestliche Filmsprachen hin. Und die Studentin Elsa Rassbach übersetzte Texte der amerikanischen Frauenbewegung. Willi Gladitz (später nannte er sich Peter Krieg) schrieb 1978 in einer Umfrage zur „beruflichen Entwicklung“ der ehemaligen dffb-Studenten: „Wir haben festgestellt, dass im Ausland die Freiräume für kritische Ansätze immer noch größer sind als hier, besonders im Fernsehen. […] Wir haben Glück gehabt, in eine noch schwach besetzte ‚Nische‘ (Dritte Welt Filme) zu rutschen und haben deshalb so ziemlich das Berufsbild des ‚freien Filmemachers/Produzenten‘ verwirklichen können, das in der dffb gezüchtet wird. Wir als offensichtlicher Einzelfall machen dieses Berufsbild aber dadurch nicht realistischer!“15

Entrechtungserfahrung Migration, erste Filme

Jenseits der expliziten Erfahrungen mit den Befreiungskämpfen der 1960er Jahre und anderen politischen Zuständen, die das Exil notwendig machten, entstanden an der dffb unzählige Filme, welche die Entrechtungserfahrung der Migration16 verhandelten und sich rassismuskritisch mit der (Westberliner) Wirklichkeit auseinandersetzten – mit dem alltäglichen, oftmals auch nur latenten und von der Mehrheitsgesellschaft kaum registrierten Rassismus in der posttotalitären bundesdeutschen Gesellschaft der damaligen Gegenwart. Diese Filme waren Ausdruck einer Kritik an den spezifischen Gegebenheiten im Land der Täter nach Krieg und Gewaltherrschaft. Die Thematisierung von Migration als Kristallisationspunkt durchzieht viele eigenwillige, nicht unbedingt kanonisierte dffb-Filme. So drehte Gisela Tuchtenhagen 1972, ausgehend von ihren eigenen Erlebnissen in einem Erziehungsheim, ihren halbstündigen Abschlussfilm WAS ICH VON MARIA WEISS. Die Filmmacherin beschreibt ihr Vorgehen so: „Ursprünglich wollte ich einen Film über das Erziehungsheim machen, in das ich mit 15 Jahren mal reingekommen bin. Ein geschlossenes Heim mit Diakonissen als Aufsichtspersonen. Sie haben mir die Drehgenehmigung nicht gegeben. Ich bin auf Maria gekommen, ein spanisches Gastarbeiterkind, 13 Jahre alt, weil ich dachte, dass sie etwa in dem Alter ist, in dem ich die meisten Schwierigkeiten hatte, und dass sie fremd hier ist. Ich habe sie mit mir, als ich in dem Alter war, irgendwie identifiziert.“ Tuchtenhagen überträgt also ihre Außenseiter-Erfahrung in einer disziplinierenden Institution auf die vorsichtige filmische Annäherung an das junge Mädchen und ihre Familie. Sie beschreibt weiter, wie sich der geplante Film veränderte: „Ich musste ja ihrer Person gerecht werden und konnte sie nicht etwas spielen lassen, was sie gar nicht ist. Darum ist es ein Dokumentarfilm geworden, obwohl der Film sehr arrangiert ist.“17 Ein poetisches Porträt von großer sensueller Kraft mit klarem Blick auf ökonomische Verhältnisse.

Bereits im ersten Jahrgang 1966 drehte der Schweizer Student Johannes Beringer den eindrucksvollen Kurzfilm DAS ZIMMER über seinen Nachbarn zur Untermiete im Zimmer nebenan, einen libanesischen Einwanderer, der mit einem Kollegen einen Zeitschriftenartikel über Gamal Abdel Nasser diskutiert. Beringer deutet die erfolglosen Versuche seines Protagonisten, in eine andere Wohnung umzuziehen, und dessen „anwesende Abwesenheit im diffusen Gebilde Stadt“18 mit wenigen präzisen Szenen an. „Ein erster Blick auf Berlin, weil ich fremd war.“ Zweimal rennt eine Gestalt ganz schnell und kaum erkennbar durchs Bild: Holger Meins, Kommilitone von Beringer im ersten dffb-Jahrgang.19

Exil und Kämpfe

Eine von Hans Helmut Prinzler, dffb-Studienleiter von 1969 bis 1979, erstellte Statistik über die ersten zehn Jahre der dffb führt bei 258 Studierenden 54 ausländische Studenten auf, von denen allein 13 aus der Schweiz kamen, wo es bis Mitte der 1990er Jahre keine institutionelle Filmausbildung gab (vgl. den Beitrag über Helmut Prinzler von F. Lang).20 Auch aus Griechenland trafen in den ersten Jahren auffällig viele Studierende ein, was auf die dortige, seit 1967 bestehende Militärdiktatur zurückzuführen war. Die Situation in den Herkunftsländern war und ist nicht selten höchst problematisch.

Sofoklis Adamidis (dffb-Jahrgang 1973) schreibt in seiner Prüfungsaufgabe für die Aufnahme an der dffb den fiktiven Brief eines Arbeiters an dessen Eltern. Dieser Brief beruht auf Recherchen21 und eigenen Erfahrungen. Den Briefschreiber habe nicht nur die Arbeitslosigkeit und die Angst vor ihren verheerenden Folgen aus Griechenland vertrieben, sondern auch und vor allem der politische Terror und die Angst vor der geistigen Verwahrlosung, zu der er zu Hause verurteilt war. Er wolle die wichtigsten Rechte, die einem Menschen gebühren, genießen. Und weiter beklagt er, dass die Hoffnung, die ihn nach Deutschland getrieben hatte abermals betrogen worden sei: Die Benachteiligung hier in der Bundesrepublik fange schon mit der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis an, die so miteinander verknüpft und geregelt seien, dass man jeder Zeit ohne Verstoß gegen das Gesetz ausgewiesen werden kann. Von Freizügigkeit könne kaum die Rede sein, zudem werde das Eintreten für die Demokratie in Griechenland als Gefährdung der Belange der BRD ausgelegt. 

Mehrangis Montazami (dffb-Jahrgang 1972) formuliert in ihrer Bewerbung: „In Persien gibt es keine Krise. Persien i s t eine Krise. Und so lebt jeder Perser in einer Krise. Ich bin Perserin.“ In den Kinofilmen und Filmankündigungen waren die Trikont-Kämpfe in Asien, Lateinamerika und Afrika präsent. Montazami schildert in einer Reportage für die Aufnahmeprüfung das Kino Arsenal in der Welserstraße mit seinen Plakaten und Ankündigungen: „Um zu wissen, welcher Film gespielt wird, muss ich näher an die Anschlagkästen heran. Ich sehe keine Reihen farbiger Szenenfotos, sondern vielerlei ausgestellte Texte, zum Teil rot unterstrichen, dann handgeschriebene Zettel, Ausschnitte aus Zeitschriften. Unter anderem ist da zu lesen „Militantes Kino in der Dritten Welt, Das Kino der Utopisten und Anarchisten, Das kaputte Kino, Das Kino der Einzelgänger und seine Aufhebung.22

Kampopo Uazuvara Ewald Katjivena, geboren 1941 in Otjiwarongo im damaligen Südwestafrika, schreibt in seinem Bewerbungsbrief: „Zur Zeit ausgeübter Beruf: politics!“23 Schon als Schüler hatte er an Protestmärschen gegen die „diskriminierende Bantu-Erziehung gegen Schwarze“ teilgenommen und war aus diesem Grund des Colleges verwiesen worden. Ab 1964 arbeitete er in Tansania als Radiosprecher und als stellvertretender Bevollmächtigter für die Befreiungsbewegung SWAPO, danach war er in Kairo und wurde 1966 Hauptbevollmächtigter der SWAPO in Algier und Westeuropa. 1973 kam er als Gaststudent an die dffb. Dort drehte er 1977: GIVE US BACK NAMIBIA über das Schulungszentrum der SWAPO in Zambia. Er arbeitete nach der Unabhängigkeit der Republik Namibia 1990 als Programmdirektor beim dortigen Fernsehen, lebt seit 2008 in Norwegen und ist Kooperationspartner des Black International Cinema in Berlin. Während seines Studiums an der dffb nahm er teil an Seminaren zu politischen Fernsehfilmen, Sozialistischem Realismus, Gewaltmonopol und Bürokratie sowie an dem Kurs „Filmen unter schwierigen Bedingungen.“

Die Israelin Edna Politi wuchs im Libanon auf und hatte beim israelischen Fernsehen als Cutterin gearbeitet, bevor sie an die dffb kam. Während der Dreharbeiten im Herbst 1973 für ihren Film FÜR DIE PALÄSTINENSER - EINE ISRAELIN BERICHTET (1973/74) geriet sie in den Jom-Kippur-Krieg und schickte Briefe mit der Bitte um Produktionsverlängerung an die Akademie. „Trotz des Krieges geht es uns nicht zu schlecht. Dem Film geht es allerdings weniger gut; nach langwierigen Recherchen und nachdem das Drehbuch fix und fertig war, musste die Arbeit am Film vorerst eingestellt werden, da durch die Situation sämtliche ‚Objekte‘ (Personen usw.) auf unbestimmte Zeit verschwunden sind.“24 Der Film beginnt mit Versen von Mahmoud Darwish, später rezitiert der Dichter Samih Al-Quasim ein Gedicht. Edna Politi spricht selbst gleichsam als Ansagerin in die Kamera, befragt Kinder im Kibbuz zu deren Geschichtsunterricht und benennt auch die feudalen Strukturen der palästinensischen Großgrundbesitzer und das Gewerkschaftsverbot.25 Der fertiggestellte Film lief auf den Filmfestivals in Mannheim und Hof, wurde leicht gekürzt von Radio Bremen gesendet, und von dem internationalistischen Verleih ISKRA26 ins Programm genommen.

Wer sich, aus einem womöglich diktatorisch beherrschten Staat oder aus einer (neo-)kolonialen Gesellschaft kommend, an der dffb einschrieb, brachte nicht nur einen anderen Horizont mit, sondern hatte einen bereits von vielfachen Repressions- und existenziellen Widerstandserfahrungen geprägten Lebenslauf, was den wohl bedeutsamsten Unterschied zu deutschen Mitstudierenden ausmachte. Diese Differenz vor allem führte gelegentlich dazu, dass sich die dffb als Lehrbetrieb auch mit einer ganz grundsätzlicher Kritik an ihren Konzepten und Inhalten konfrontiert sah.

Kritik am Unterricht: Gaston Bart-Williams aus Sierra Leone

Der „liberale Internationalismus“ der dffb-Aufnahmepraxis stieß gelegentlich auf eloquente Studenten, die diese Praxis beim Wort nahmen: Gaston Bart-Williams aus Sierra Leone (dffb-Student von 1967 bis 1970) hatte als Chemiker und als freier Mitarbeiter der BBC in London, in der Bundesrepublik als Hauptdarsteller in der Fernsehproduktion „Der schwarze Doktor“ (WDR 1965, Regie: Nathan Jariv)27 gearbeitet, seine Gedichte waren bis 1967 schon in sieben verschiedenen Anthologien erschienen. Er kam mit besonderer Empfehlung des Intendanten und einem WDR-Stipendium an die dffb.

In seiner Bewerbung ist eine Absage an gängige Zuschreibungen zu lesen: „Ich will mich nicht mit dem Film beschäftigen, weil ich ein ‚afrikanischer‘ Regisseur werden will.“ Beim Filmemachen sucht er „ein Ausdrucksmittel, das international verstanden wird, das geographische, soziale, akademische und politische Barrieren überwindet“. Er assoziiert Maxim Gorkis Drama einer Gesellschaft, in der die Intelligentsia die vorrevolutionären Zeichen verschläft, mit den Werken von Jean Cocteau und Else Lasker-Schüler, die er bewundert, und entwirft eine Vorstellung vom Filmemachen als Auseinandersetzung mit minoritären Positionen, „aber da dieser [Jean Cocteau] keinen Film gemacht hat mit dem Titel KINDER DER SONNE, eine Darstellung der schwarz-weißen Konfrontation auf dieser Welt, da er kein Porträt von Else Lasker-Schüler gezeichnet hat, jener Verteidigerin von Minderheiten, fühle ich den Drang in mir, das Bild der Welt, das Bild unserer täglichen Probleme und das Bild der einsamen Gesichter in der Menge um einige Mosaiksteine zu ergänzen“.28

In einem Brief vom 13. März 1969 bittet er die „dear directors“ der dffb, die Bedingungen des Ausbildungsvertrages, soweit sie den Unterricht angehen, noch einmal zu überdenken, und fordert, dass Studierende aus der ‚Dritten Welt‘ nicht verpflichtet werden sollten, Stoffe zu lernen, die jenseits der geografischen Begrenzungen und Fantasien der jeweiligen (hiesigen) Experten grundlos und inadäquat seien. „Ich weiß, dass ich persönlich sehr profitieren kann durch das Pauken von europäischer Filmgeschichte, Publikumswirkung und Theorie der Massenkommunikation und Farbtheorie, aber das bereitet mich nur für einen Platz in der Filmindustrie außerhalb der ‚Dritten Welt‘ und ihrer Probleme vor.“ Er studiere Film und dessen Möglichkeiten als politisches Instrument. Er wolle über die historische Rolle der Afro-Amerikaner im Film lernen, über die Rolle der Dekolonisierung und des neuen afro-amerikanischen Bewusstseins, dies auch im Kontext von Lateinamerika (heute würde man diese Perspektive auf den Begriff „Black Atlantic“ bringen). Gerne würde er sich von Herrn Ulrich Gregor zu diesen Fragen prüfen lassen. Gegen die im Lehrplan aufgeführte „Farbtheorie und deren gefährliche Untertöne von Farbfixierungen, die das europäische Bewusstsein bezüglich Farbe falsch erzogen und voreingenommen haben“, sei er allerdings ganz grundsätzlich, und er möchte nicht zu etwas gezwungen werden, das er moralisch ablehnt. Er könne dies, schreibt er, in dem Brief nicht weiter ausführen. Bart-Williams stellte mit seiner Kritik des Farbtheoriekurses die Konstruktion von Farbnormen und deren Allgemeingültigkeit in Frage – lange bevor der englische Filmwissenschaftler Richard Dyer „Whiteness in den Blick nahm und damit die Darstellung und universalistische „Verunsichtbarung“ der Kategorie Weiß (als Weißsein und damit als Hautfarbe) im Mainstream-Film untersuchte und dekonstruierte.29

Zudem wendet er gegen Paragraf 9 des Ausbildungsvertrages bezüglich der Rechte an den Studentenproduktionen ein, dass die an den Projekten zum Teil unentgeltlich Mitarbeitenden rechtlich und ökonomisch nicht genügend geschützt seien. Auch wäre es für ausländische Studierende problematisch, wenn sie keinen Zugang zu ihren Filmen hätten, da sie diese den Verantwortlichen in ihren jeweiligen Ländern vorweisen müssten, und er bittet die Filmakademie um diesbezügliche Konzessionen. Vorsichtig bittet Bart-Williams im letzten Absatz seines Briefes um Verständnis und Kooperation. Eine Antwort ist nicht erhalten.

Sein Abschlussfilm,30 die militante Dokumentation WHICH WAY AFRICA? EVOLUTION OR REVOLUTION (1969/70) war unter dem Arbeitstitel TOWARDS AN AFRICAN REVOLUTION angemeldet, er drehte in Sierra Leone und in der Republik Guinea. In fünf Kapiteln will er verschiedene Aspekte der afrikanischen Revolution zeigen.31

Forderung nach politischer Konsequenz: Skip Norman aus den USA

Der afroamerikanische Student Skip Norman, hatte vorher Germanistik und Medizin in Göttingen studiert und wie viele dffb-Studierende der ersten Stunde auch im Theater Erfahrungen gesammelt (vgl. den Beitrag von G. Conradt). Von September 1966 bis Ende Mai 1969 studierte er an der dffb. In einem undatierten Brief an die Akademie appelliert er an die „Lieben Genossen“ und fragt: „Wie kann die dffb zu der gewaltigen Aufgabe beitragen, die Wohlfahrt der ‚Dritten Welt‘ zu heben? Die dffb kann Dokumentaristen ausbilden (Propagandisten), die nicht allein das falsche Bild korrigieren, das die westliche Propaganda gezeichnet hat, sondern die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der ‚Dritten Welt‘ stärken durch vernünftige und nutzvolle Beratung in den Entwicklungsprogrammen. […] Die Praxis, die die dffb den Studenten der ‚Dritten Welt‘ anbietet, steht in einem sehr guten Verhältnis zu den Bedingungen, mit denen die Studenten nach ihrem Studium konfrontiert werden. Aufgrund dieser Tatsache muss die dffb die Verantwortung auf sich nehmen, Leute auszubilden, zu befreien, zu informieren und zu mobilisieren.“ Diese programmatische Briefpassage, die viel erzählt über das damalige Primat des Dokumentarischen, führt schließlich zur Empfehlung eines jungen Mannes namens Moukhtarr Sheriff für ein Vollstudium, der „ein Interesse am Film bewiesen hat und darüber hinaus ein Interesse an der Korrektur des verzerrten Bildes über seine Kultur. Ich vertraue ihm, dass er das Beste aus seinen Studien machen wird.“32 Er nimmt die „dffb-Genossen“ beim internationalistischen Wort.

Normans Film BLUES PEOPLE (1969) heißt zwar nach LeRoi Jones’ 1963 erschienener Studie „Blues People. Negro Music in White America“, ist aber eigentlich inspiriert von Jones’ Theaterstück „The Dutchman33 (1964). Der Film ist legendär und war mit seiner expliziten Darstellung nackter Körper so umstritten, dass der Filmanalyse-Dozent Gerd Albrecht ein Gutachten erstellte zu der Frage, ob der Film pornografisch sei.

In dem ersten erhaltenen34 Film von Norman, CULTURAL NATIONALISM (1968/69) entwickelt der Mitbegründer der Black Panther Party, Bobby Seale, in einer Rede und mit Bezug auf die kolonialismuskritischen Schriften von Frantz Fanon eine Absage an den intellektuellen und kulturellen Nationalismus eines kurzsichtigen – und wie er sagt – korrupten „Black is beautiful“-Konzeptes, das auf den Kapitalismus hereinfalle und letztlich den weißen Rassismus gegen Schwarze umkehre zu einem schwarzen Rassismus gegen Weiße. Aus einer stillen weißen Berliner Schneelandschaft stapft ein schwarzer Junge in Winterkleidung auf die Kamera zu, nimmt seine Kapuze ab und blickt lange und gelegentlich abschweifend, irritiert oder unsicher in die Kamera. „The Black Panther Party does not hate anyone, and it doesn’t hate anyone because of the colour of the skin“, hört man Bobby Seales Stimme aus dem Off.

Skip Norman entwickelte sich zum produktivsten Kameramann der frühen dffb-Jahre, er war an 27 Produktionen beteiligt und arbeitete nach seinem Studium 1974/75 als Fachberater für Kameraführung und Dozent an der dffb. Norman taucht auch auf dem Titelbild der fünften Ausgabe der Zeitschrift „Frauen und Film“ (1975) auf35 und war als Beleuchter der einzige Mann im Frauenteam um Cristina Perincioli, als sie den Streikfilm FÜR FRAUEN, 1. KAPITEL (1971) drehte.

„Einen Tricktisch bauen“: Carlos Bustamante aus Mexiko

Eine Geschichte der experimentellen Arbeiten an der dffb wird noch geschrieben werden. In den frühen Studienplänen ist viel vom Experiment die Rede, was sich musikalisch, ästhetisch und technisch in unterschiedlichster Weise manifestierte. Der in Köln lebende Komponist und Filmemacher Mauricio Kagel war von der dffb und ihrem künstlerischen Direktor sowohl für Vorlesungen als auch als Mentor angefragt.36 Er sollte Studierende bei der musikalischen Bearbeitung ihrer Filme betreuen. Im Fragebogen zur Vorbereitung des zweiten Studienjahres, von den Studierenden des dritten Semesters ausgefüllt, „verneinen 7 Studenten unter dem Stichpunkt Experimentelle Übungen die Notwendigkeit dieser Übungen, 14 Studenten bejahten sie. Aus den Angaben von drei Studenten liess sich ermitteln, dass diese Übungen 14 Tage im Semester beanspruchen sollten. Die anderen Studenten forderten sie als permanentes Prinzip.“37 Skip Norman wollte selbständig experimentieren,38 und kam in seinen Filmen zu Ergebnissen, die immer auch die (prekäre) Abwesenheit von Bildern mit bedenken.

Carlos Bustamante aus Mexiko (dffb-Jahrgang 1967) kannte vor der Arbeit an seinem agitatorischen filmischen Anti-Vietnamkriegsgedicht DE OPPRESSO LIBER (1968) nicht nur den legendären Agitpropfilm NOW (CU 1965) von Santiago Alvarez, er hatte „auch schon viel experimentales Kino gesehen und Performances live erlebt: z.B. Andy Warhol’s „Velvet Underground“ im Filmore West, San Francisco setzte viel Flicker ein; eine Ausstellung von Warhol in Paris machte mich auf ‚Rasterung‘ aufmerksam, sowie Lichtenstein’s Gemälde; Gregory Markopoulus’ Filme hatten viele Auf- und Abblenden. Tony Conrad’s FLICKER Film ... Die Liste ist lang, also, es lag in der Luft.“39

Helmut Herbst, Mitbegründer der Hamburger „Filmemacher Cooperative“ kam im Herbst 1969 an die dffb. Hans Helmut Prinzler schildert die Perspektive auf die Lehrenden in der weiterhin aufgeheizten Situation so: „Die Dozenten sollen – nicht allzu autoritär – Zeichen setzen für die nähere Zukunft. Da ist einer wie Helmut Herbst am richtigen Ort. Er hat eine Haltung zu ästhetischen und politischen Fragen. Er ist kein Opportunist.“40 In einem Brief aus Mexiko an Helmut Herbst schreibt Carlos Bustamante: „Wir arbeiten viel und haben leider wenig Geld. Sonst würden wir viel mehr arbeiten. Wir haben zwei Filme gemacht. Wir haben weniger als einen Morse Tank.41 JORNADA SOLIDARIDAD COLONIAS haben wir auf einen Holzrahmen gewickelt. DIALOGO wurde in einem Eimer entwickelt. Ich habe zufällig im Januar für 30 Dollar einen alten Bell & Howell Projektor gefunden und zur Zeit kopieren wir damit. So bald ich ein paar Linsen finde werde ich eine Rückpro bauen. Es gibt so viel zu tun da in Mexico die Mehrheit der Bevölkerung unterdrückt ist. [...] In Deutschland sind die Widersprüche kaum sichtbar. In Lateinamerika kann man sonst nichts anderes sehen […] Das Kapitalismus ist ein Krebs, wenn du das nicht glaubst, solltest du hierher kommen [...] Die Stills aus deinem Film gefallen mir trotzdem. Der Film ist bestimmt schön. [...] es wäre schön Dich wieder zu sehen: Warnung. Du müsstest bei uns für dein Gehalt arbeiten. Einen Tricktisch bauen.“42 Eindrucksvoll schildert Bustamante hier die „technischen“ Experimente, das Filmemachen unter prekären ökonomischen und politischen Bedingungen.

Der zerstörte Glaube an neue Bilder: Irena Vrkljan aus Jugoslawien

Die Schriftstellerin Irena Vrkljan, geboren 1930 in Beograd, kam aus Jugoslawien in den ersten Jahrgang der dffb. Sie stellte drei eigenwillige Berlin-Filme her sowie ein kurzes Porträt FAROCKI DREHT (1966). In ihrem Entwurf für ein Hörspiel in Briefform heißt es: „Das Fremdsein schleppt man mit sich. Weißt du, hier sind alle, die ich kenne, sonderbar unglücklich. Aus einer Angst, die ich schwer verstehe, da sie unartikuliert ist und irgendwie abstrakt. Die Professoren sind uralt. Nicht an Jahren. Aber wie sie sprechen. In der U-Bahn merke ich immer wieder, ich komme aus einem kleinem Land.“43

In dem Kurzfilm WIDMUNG FÜR EIN HAUS (1966) untersucht sie als geschichtsbewusste Flaneurin eine neobarocke Hausruine in der Potsdamer Straße und spricht aus dem Off über die Gegenwart der Vergangenheit. In BERLIN UNVERKÄUFLICH (1967/68) besucht sie die Schrebergärten am Charlottenburger Kanal mit Blick auf die GASAG-Türme.

Auf diese zwei dichten und poetischen Filme folgt mit ihrem 30-minütigen Abschlussfilm BERLIN (1969) ein weiteres Stadtporträt: „Die Städte sind für dich gebaut.“ Inschriften an Häusern liest sie als Aufforderungen, und eine lange Sequenz auf einem Friedhof endet mit Aufnahmen von Ruinensprengungen und Zitaten aus dem damals neu erschienenen Buch „Die Unfähigkeit zu trauern“ von Margarete und Alexander Mitscherlich. Der Film schließt mit einem eigenwilligen Text zu den Bildern der Universitätsgebäude in Dahlem, über Graffitis zu den Studentenkämpfen – „Solidarisiert Euch mit den 18 Filmgenossen!“ und „Relegation bewirkt Revolution“ – und einer in Farbe gedrehten Demonstration mit vielen Mao- und Lenin-Konterfeis in Berlin-Charlottenburg. Der von einer Männerstimme apodiktisch gesprochene Kommentartext ist eine stilisierte studentische Politisierungserzählung: „Wir haben Fehler gemacht, wir legen ein volles Geständnis ab, wir sind nachgiebig gewesen, wir sind anpassungsfähig gewesen, wir sind nicht radikal gewesen. Wir haben uns um die Immatrikulation beworben, wir haben die Immatrikulations-bestimmungen gelesen, wir haben uns den Immatrikulationsbestimmungen unterworfen. Wir haben Formulare ausgefüllt, die auszufüllen einen Zumutung waren, wir haben über unsere Religionszugehörigkeit Auskunft gegeben, obwohl wir keiner Religion angehörten, wir haben für unsere Bewerbung Gründe angeführt, die nicht unsere Gründe waren. Wir haben unsere Zulassung erhalten, wir haben unseren besten Anzug angezogen, wir sind zur Immatrikulationsfeier gegangen, wir haben uns hingesetzt, wir haben gewartet, wir wären am liebsten gleich wieder gegangen. Wir haben Prüfungen vorbereitet, die nur der Prüfung unseres Gehorsams dienten. Wir sind nervös geworden, wir sind unlustig geworden, wir sind immer schwieriger geworden, wir litten an mangelnder Konzentration, wir konnten nicht einschlafen, wir konnten nicht beischlafen, wir haben uns einmal ausgesprochen. Wir haben uns sagen lassen, wir müssten erstmal mit uns selber fertig werden. Wir sind mit uns selber fertig geworden. Wir haben es dahin gebracht, jederzeit mindestens vier Zeitschriften der Goethezeit nennen zu können. Wir haben in aller Sachlichkeit über den Krieg in Vietnam informiert, obwohl wir erlebt haben, dass wir die unvorstellbarsten Einzelheiten über die amerikanische Politik in Vietnam zitieren können, ohne dass die Phantasie unserer Nachbarn in Gang gekommen wäre […]."

In ihrem 1988 erschienenen Roman „Marina im Gegenlicht“ schreibt Irena Vrkljan im Rückblick auf die dffb: „Man kann fremde Orte betrachten. Berlin 1966. Die Filmakademie in der Pommernallee. Ich war sechsunddreißig. […] Die Filmakademie war der fremdeste Ort meines Lebens. Die Gänge mit Neonlicht, glänzendem, kaltem Linoleum, die jungen Leute herrisch, verwöhnt, geschlechtslos. Der Wahn des Films, das hastige Leben in Bildern. Doch wir schufen sie nicht, die andere Wirklichkeit, wir aßen trockene Schrippen während der Filmvorführungen, hängten willkürlich Fahnen aus dem Fenster, Fragen wurden niedergeschrien, viele vergruben sich in die Politik. Die drei Studienjahre liefen wie eine kalte Spur den Rücken hinunter. Zusammengeschrumpft das Herz, die Augen starren wie lidlose Löcher auf die Projektionswand. Der Kurs über Unterhaltungsfilme aus dem Dritten Reich zerstörte die letzten Möglichkeiten eines Glaubens an neue Bilder. Alles klebte am Gesehenen, an falschen Gefühlen, politischem Missbrauch. Die Macht der Bilder machte sie selbst fragwürdig. […] Die Spuren der Kunst getilgt. Bilder werden abberufen nach Kriterien einer Technik, die sie dann auch ausmacht. Ich hatte bald keine Partner für Gespräche mehr und verzog mich wieder in die Bücher.“44

Die Filme und Texte der 1930 geborenen Irena Vrkljan überzeugen durch einen besonders differenten und ungewöhnlichen Blick auf Berlin und auf die Mitstudierenden.

Blickwechsel: Filme von Mehrangis Montazami, Sema Poyraz & Sofoklis Adamidis

Die Erzählform von Migration im Film reproduzierte lange Zeit das Muster, die Protagonisten und vor allem die Protagonistinnen der Handlung als die ihr Schicksal Ertragenden darzustellen. In diesem Genre des pflichtbewussten Problemfilms kam der Migrantin eine besonders zentrale Rolle zu.45 Für die bundesrepublikanische Umwelt und die Presse bestand im Eintauchen in viktimisierende Problemwelten der Zugang schlechthin, und eine ganze Serie von Filmen musste die Symptome erst „durcharbeiten“, bevor andere visuelle Subjektivierungsstrategien möglich wurden.46

Hervorzuheben ist in diesem Sinne ein an der dffb entstandener Film, der erst langsam seine angemessene Würdigung erlangt: 1980 drehen Sema Poyraz und ihr griechischer Kommilitone Sofoklis Adamidis den Film GÖLGE – ZUKUNFT DER LIEBE. Die Hauptrolle des 18-jährigen Mädchens spielt Semra Uysallar. Der Film wurde zweisprachig auf Deutsch und Türkisch mit Laiendarstellern gedreht. Die Eltern spielen Birgül und Yüksel Topcugürler, die sonst beim Freundschaftsverein deutscher und ausländischer Arbeitnehmer tätig waren. Für den Kameramann Asil Basyildiz musste eine Arbeitserlaubnis eingeholt werden. Mitproduziert wurde der Film vom Sender Freies Berlin, der ihn am 3. August 1980 in der Reihe „Projektionen“ ausstrahlte.

  • Exposé zu GÖLGE (1980, Regie: Sema Poyraz, Sofoklis Adamidis)

    Exposé zu GÖLGE vom 05.03.1980 | Quelle: Deutsche Kinemathek | dffb-Archiv | Signatur: F37227_N23014_dffb_001

    Exposé zu GÖLGE (1980, Regie: Sema Poyraz, Sofoklis Adamidis)
  • Grundriss zur Spielwohnung von GÖLGE

    Grundriss zur Spielwohnung von GÖLGE | Quelle: Deutsche Kinemathek | dffb-Archiv | Signatur: F37227_N23014_dffb_004

    Grundriss zur Spielwohnung von GÖLGE
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Als Kammerspiel inszeniert, handelt der Film von der erwachenden Sexualität der jungen Gölge und ihren Konflikte mit ihrer Familie. Um an den Partys ihrer Mitschüler teilzunehmen, startet Gölge komplizierte häusliche Intrigen. Ihre ersten Flirts finden unter allgegenwärtiger sozialer Kontrolle statt. Die Erschöpfungen, Zärtlichkeiten und Kabbeleien der Eltern, die Männer- und Frauengespräche sind mit anteilnehmender Ambivalenz gezeichnet. Am Schluss packt Gölge ihren roten Koffer, und die Schlafcouch im Wohnzimmer bleibt leer: Sie muss nicht gerettet werden. Es ist dies ein Gründungsfilm des türkisch-deutschen Kinos, der in seiner konzeptionellen Strenge und in der Darstellung von Gesellschaft als andauerndem Aushandlungsprozess wie auch in der sympathisierenden Inszenierung der sexuellen Phantasien der erwachsen werdenden Gölge einen damals neuen Weg beschreitet.

In einem Gespräch unter dem Titel „Macht bloß keine Filme über Migranten“ mit dem Filmwissenschaftler Toby Ashraf kam Sema Poyraz auf die Situation an der dffb zu sprechen. Toby Ashraf: „Wie war es an der dffb für dich damals? Du bist ja die erste Türkin, die damals dort studiert hat. War das etwas Besonderes?“ Sema Poyraz: „Nein, das muss man heute wirklich betonen: Es war nichts Besonderes. Es gab dort Spanier, Chilenen und Menschen aus allen möglichen Ländern. Ich war nun mal Türkin, aber damit nichts Besonderes – weder für die Kommilitonen, noch für die Studenten. Eine Türkin mit Filmstudium scheint eher heute komisch. Damals war es das gar nicht.“ Toby Ashraf: „Nervt es dich, darauf angesprochen zu werden oder bist du ein bisschen stolz darauf, die erste Türkin gewesen zu sein?“ Sema Poyraz: „Ich bin stolz darauf, das muss ich schon sagen. Ich weiß nicht, wie alt Fatih Akin ist – wahrscheinlich war er gerade erst geboren, als ich an die Filmakademie kam.“47

Schon vor GÖLGE hatten Sema Poyraz und Sofoklis Adamidis einen gemeinsamen Film an der dffb gedreht: TURDA – EIN ALLTAG von 1977. Der Film gilt als Dokumentarfilm, trotz einiger inszenierter Szenen, die Schauspielerin und Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar tritt auf als Mutter des kleinen Jungen Turda. Die unterlegte Synthesizer-Musik von Jo Liebau lässt den Film trotz des eindrucksvollen dokumentarischen Materials über das migrantische Kreuzberg der späten 1970er Jahre wie einen unfreiwilligen Stummfilm wirken. Der Film begleitet den türkischen Jungen Turda, dessen Eltern beide arbeiten, bei seinen Spielen, seinen Problemen in der Schule – „Turda ist ein sehr lebhafter und eigenwilliger Schüler, häufiges Fehlen, unpünktliches Erscheinen im Unterricht, mangelnde Ordnung im äußeren Erscheinungsbild und in seinen Schulsachen, sowie fehlende Unterstützung durch das Elternhaus hindern ihn leider an einem erfolgreichen Lernen“, heißt es aus dem Off – und bei der Hausaufgabenbetreuung im türkischen Schülerladen. Im Schlussbild blickt Turda in Kampfpose in die Kamera.

Auch Mehrangis Montazami beschäftigte sich in ihrer „gründlichen und engagierten Reportage“48 ANALPHABETEN IN ZWEI SPRACHEN (1975) mit der Schulsituation ausländischer Kinder und Jugendlicher in West-Berlin. Im dffb-Filmblatt schreibt sie: „Auch West-Berlin hat ‚sein‘ Ausländer-Problem. In einigen Bezirken gibt es bereits ein Zuzugsverbot für Ausländer. (West-Berlin ist die einzige Stadt, die so etwas kennt). Zum größten Teil sind es Arbeiter, die einfache, ungelernte Arbeiten verrichten, d.h. die Drecksarbeit machen. Ohne sie wäre die West-Berliner Wirtschaft kaum mehr in Gang zu halten.“

Nachwende-Berlin: Filme von Tsitsi Dangarembga, Wanjiru Kinyanjui & Irina Hoppe

Nach der Wende entstand mit den pogromartigen Ausschreitungen in Hoyerswerda 1991, in Rostock-Lichtenhagen 1992, den Anschlägen in Mölln 1992 und Solingen 1993 und der Einschränkung des Asylrechts 1993 ein gesellschaftliches Klima, für das Filmemacherinnen und Filmemacher eine Sprache zu finden versuchten.49

Die Schriftstellerin und Journalistin Wanjiru Kinyanjui kam 1987 aus Kenia an die dffb. In ihrem mittellangen Film BLACK IN THE WESTERN WORLD beschäftigt sie sich 1992 damit, wie sich Schwarzsein in Deutschland anfühlt. Ein namibischer Mann erzählt von einem rassistischen Übergriff in der S-Bahn. Auf einer Karte Berlins liegen die Filmtitel in einer amorphen Sprechblase. Kinyanjui sichtet rassistisches Material aus der deutschen Alltagskultur und führt ein Gespräch mit Tsitsi Dangarembga, die 1989 an die dffb kam und hier eine verheerende Einschätzung ihrer Erfahrungen im Berliner Umfeld gibt.

Bekannt wurde Tsitsi Dangarembga mit ihrer preisgekrönten Erzählung „Nervous Conditions“ (1989), die im kolonialen Rhodesien der 1960er und 1970er Jahre spielt. Ihr dokumentarisch-ethnografisches Video DIE SCHÖNHEITSVERSCHWÖRUNG untersucht mit ironischem Nachdruck einen Afro-Beauty-Shop in der Kantstraße in Berlin. „Dieser Mann […] hat auch seine Privilegien. Und deshalb fühlt er sich manchmal schuldig. Um also auch noch ein guter Mensch und ein guter Geschäftsmann zu sein, verkauft er bestimmte Salben und Öle. Sie sollen Leute, die nicht so schön und privilegiert sind, wenigstens etwas schöner und privilegierter machen, als sie jetzt sind.“ In kurzen Interviews schildern verschiedene Kunden und Kundinnen ihre Erlebnisse im Nachwende-Berlin und geben gleichsam eine kleine Warenkunde von Haarglättern, Haar zum Zöpfcheneinflechten und schädlichen Bleichcremes wie zum Beispiel dem Präparat „Esoterica“. Die sozialen Auswirkungen majoritärer Schönheitsbegriffe werden hier deutlich.

2015 erzählt Tsitsi Dangarembga im Gespräch mit einer Journalistin: „Ich war eine junge Studentin der Regie – eine meiner wichtigsten Ausbildungserfahrungen. Die Art des Engagements in Deutschland findet man nicht so leicht anderswo. Man fragt, warum man mit etwas einverstanden ist oder nicht. Überrascht war ich, dass es damals kaum Leute in Deutschland gab, die etwas über afrikanischen Film wussten. Und vielen war unklar, was diese schwarze Frau denn da vorhatte.“ „Niemand konnte Sie verstehen?“, fragt die „Freitag“-Journalistin. Tsitsi Dangarembga: „Dabei hatte ich schon Filmerfahrung in Simbabwe, ich hatte als Rechercheurin bei einer NGO gearbeitet. Was mich beeindruckte, waren Leute, die bereit waren, über den Tellerrand ihrer Kultur zu blicken. Wichtig war für mich, zu lernen, wie man Schauspieler führt und dass man nie vergessen darf: Es handelt sich hier um menschliche Wesen.“ Und am Schluss des Interviews sagt sie: „Neue Charaktere können die alten Stereotype überwinden.“50

1994 drehte Irina Hoppe als Co-Produktion mit dem ZDF/Kleines Fernsehspiel ihren außergewöhnlichen dokumentarischen Abschlussfilm DEUTSCHLÄNDER direkt in ihrer Nachbarschaft in Berlin-Kreuzberg. Kameramann ist Thomas Arslan. Jugendliche, die in Deutschland geboren sind, und deren Eltern unter anderem aus Kurdistan und aus dem Libanon stammen, führen ihre Spiele, ihre Computerspiele und Wrestlingstars und die Sätze vor, von denen sie umgeben sind, in dieser BRD-Nachwendegesellschaft. In ihren „nonchalant beobachteten“51 Spielen performen sie Gewalterfahrungen und Strategien der Ironisierung eines rassistischen Umfelds. Die Montage gibt dem Film einen eigenwilligen Rhythmus: Einzelne symptomatische Sätze werden wie Synkopen wiederholt, neu angesetzt und als Zwischentitel prononciert. „Das Aussprechen des Wortes Deutschland [...] hier sind wir Ausländer, da sind wir Ausländer, was sollen wir machen.“ Beim “Der-Blinde-Nazi“-Spiel werden diesem die Augen verbunden. „Die Ausländer haben natürlich mehr Chancen, die haben die Augen frei!“

  • Framescan aus BLACK IN THE WESTERN WORLD (1992, Regie: Wanjiru Kinyanjui)

    Quelle: Deutsche Kinemathek | dffb-Archiv

    Framescan aus BLACK IN THE WESTERN WORLD (1992, Regie: Wanjiru Kinyanjui)
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Transnationale Räume erzählen: WADA (2014)

Khaled Mzehr kam 2013 an die dffb. Sein Grundkursfilm, das Spielfilmdebut WADA (2014), handelt von dem Familienvater Ibrahim in Berlin, einem Instrumentenbauer, der versucht, Kontakt zu seinem im syrischen Bürgerkrieg verschollenen Bruder herzustellen. Der Film erzählt einen Tag lang den komplizierten Entscheidungsprozess dieses Mannes, nach Syrien zu reisen und dort weiterzusuchen. Er spricht mit einem muslimischen Bestatter in Berlin und sieht bei einer Leichenwaschung zu. Die Wahl von Laienschauspielern, die ihre Erfahrungen (und damit die der syrischen Exilgemeinschaften) in die Inszenierung miteinbringen, und ein Inszenierungsstil, der auf ein körperlich eloquentes Spiel der Andeutungen, Gesten und Haltungen eher vertraut als auf Dialogschwere, erweist sich in Mzhers Film als extrem produktiv und bewegend. Die dokumentarisch gesetzten Drehorte – hier ist es Berlin-Neukölln – erzählen präzise und unaufgeregt von den transnationalen Infrastrukturen der Exilgemeinschaften. Fabian Tietke bemerkt zur Welturaufführung bei den Kurzfilmtagen Oberhausen über Ahmad Farajs Interpretation seiner Rolle und die Schauspielerführung des Regisseurs: „Wie er da so geht, wirkt es, als würde sich die Wand von Geräuschen vor ihm teilen und hinter ihm wieder schließen. [...] In Mzhers Film war die umgebende Wirklichkeit schon da, bevor sich die Handlung in ihr ereignete – und sie wird bleiben, nachdem Ibrahim nach Syrien gefahren ist. Seine Wirklichkeit ist sie schon jetzt nicht mehr, auch wenn er sich vorläufig noch durch sie hindurch bewegen muss.“52

Diese beispielhaft gewählten Filmemacherinnen und Filmemacher treten implizit oder explizit in ein produktives Spannungsverhältnis zu den Realitäten an der dffb und deren gesellschaftlichem Kontext. Sie machen Differenzen anschaulich und benennen mögliche Korrekturen. So produzier(t)en sie einen besonderen transnationalen Raum, einen Transfer von Erfahrung, Wissen und Fähigkeiten, der sich in ihren Lebensgeschichten, in gegenseitigen Inspirationen und in besonderen Bildpolitiken fortschreibt. Transnationales Lernen ist hier im Sinne einer verflochtenen Geschichte als ein Prozess des permanenten Perspektivwechsels nicht nur beim Filmemachen zu verstehen.

Dank

Dank an Johannes Beringer, Gerhard Schumm, Sema Poyraz, Karin Fritzsche, Boris Schafgans, Anke Vetter, Regina Hoffmann, Diana Kluge, Branwen Okpako, Herbert Schwarze, Carlos Bustamante, Mehrangis Montazami, Brigitte Bart-Williams, Toby Ashraf, Irina Hoppe, Khaled Mzher, Patrick Thülig, Fabian Tietke, Serhat Karakayalı, Claudia Relota, Astrid Bednarski und an die Bibliothek der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen.

Über die Autorin

Madeleine Bernstorff (*1956) unterrichtet Filmgeschichte für Kunststudierende, initiiert Filmprogramme, gerne in Kollaborationen und schreibt. Mitbegründerin der feministischen Kinoinitiative „Blickpilotin e. V.“, Kommissionsmitglied der „Kurzfilmtage Oberhausen“.
www.madeleinebernstorff.de

  • 1 Madeleine Bernstorff: Die andere Seite der anderen Seite. Filme von Immigrantinnen und Filmemacherinnen der zweiten Generation. In: femme totale e.V./Feminale e.V.: 100 Jahre Frauen und Kino. Bielefeld 1996, S. 72ff.
  • 2 Institut des Hautes Etudes Cinématographiques, später École Nationale Supérieure des Métiers de l’Image et du Son – La Fémis, gegründet 1943.
  • 3 Heinz Rathsack: Vier Filmhochschulen. Strukturen – Aufgaben – Ergebnisse. Bonn 1964. S. 33.
  • 4 VGIK/WGIK – Staatliches Allunionsinstitut für Kinematografie.
  • 5 Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) in Potsdam-Babelsberg (heute Filmuniversität Babelsberg „Konrad Wolf“).
  • 6 URL: http://www.filmuniversitaet.de/de/international.html (abgerufen am 23.05.2015).
  • 7 1958 erschien das Buch unter dem Titel „Die Folter“ in zwei unterschiedlichen deutschen Übersetzungen im Ostberliner Aufbau Verlag und im Wiener Kurt Desch Verlag. Die Wiener Ausgabe enthält Geleitworte von Jean-Paul Sartre und Eugen Kogon.
  • 8 Der Filmemacher, Autor und dffb-Absolvent Max Linz verweist in einem hellsichtigen Essay auf die Ähnlichkeit dieses Anspruchs mit dem des „historischen ‚Dritten Kinos‘“. Vgl. Film-Politik, Studenten-Bewegung, Online-Archiv. Bericht von der Dziga-Wertow-Akademie. In: montage AV. 23/2/2014.
  • 9 Klaus Wildenhahn: Aufnahmeprüfung 70 und die Zeit danach. In: dffb-Info. April 1/1970.
  • 10 Klaus Wildenhahn lehrte von 1968 bis 1972 an der dffb und spielte als Initiator der „Gruppe Wochenschau“ eine eminent wichtige Rolle bei der Vermittlung zwischen den verschiedenen verstrittenen politischen Lagern. Siehe dazu auch: Video-Interview mit Ulrich Gregor von Fabian Tietke und Frederik Lang auf dffb-archiv.de. URL: http://dffb-archiv.de/editorial/ulrich-gregor
  • 11 Mit den „Schülerfilmen“, die 1969/1970 von dffb-Studenten gemeinsam mit Schülern gedreht wurden, versuchten die Filmemacher erstmals ihre Protagonisten an der Filmarbeit zu beteiligen.
  • 12 Den Begriff „Dritte Welt“ prägte der Demograf Alfred Sauvy 1952 in Paris. Er bezeichnete damit die (ehemals) kolonisierten, blockfreien und vermeintlich unterentwickelten Gesellschaften Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. Mit der Dekolonisierung seit den 1940er Jahren, der Bewegung der Blockfreien und den 1968er Protesten entdeckte die radikale Linke vor allem in Frankreich den Antikolonialismus für sich und versuchte sich von den eurozentrischen Prämissen zu verabschieden, die der Begriff „Dritte Welt“ allerdings impliziert. Vgl. Christoph Kalter: Die Entdeckung der Dritten Welt. Dekolonisierung und neue radikale Linke in Frankreich, Frankfurt am Main/New York 2011, S. 8ff.
  • 13 Vgl. Lukas Foerster/Nikolaus Pernetzky/Fabian Tietke/Cecilia Valenti (Hgg.): Spuren eines Dritten Kinos. Zur Ästhetik, Politik und Ökonomie des World Cinema. Bielefeld 2013. S. 11ff.
  • 14 Johannes Beringer: Italienreise 1968. URL: http://newfilmkritik.de/archiv/2009-11/italienreise-1968/ (abgerufen am 23.05.2015).
  • 15 Dr. Heinz Rathsack: Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin. Eine von Malte Ludin, Manfred Wollandt und Helene Schwarz erarbeitete Broschüre mit Absolventenfilmografien und Antworten auf einen Fragekatalog zum Akademiestudium und zum gegenwärtigem Produktionsklima. Hg. von der dffb, Berlin 1978, S. 63.
  • 16 Zwischen 1955 und 1968 wurden Anwerbeabkommen unter anderem mit Italien, Spanien, Griechenland, Türkei geschlossen. Die Beschreibung „Gastarbeiter“ impliziert eine für die Bundesrepublik sehr spezifische Politik des Provisoriums, die sich mit dem Anwerbestop 1973 infolge der Ölkrise änderte – jedoch nicht unbedingt in Richtung größerer gesellschaftlicher Akzeptanz.
  • 17 Deutsche Film- und Fernsehakademie (dffb): Gisela Tuchtenhagen. Was ich von Maria weiß (1972). Filminformationsblatt Nr. 66. Januar 1973.
  • 18 Mark Terkessidis: Interkultur. Berlin 2010. S. 34. Terkessidis beschreibt mit diesem Ausdruck den transitären (freiwilligen oder unfreiwilligen) Status vieler Bewohner von Städten, in denen Sesshaftigkeit längst nicht mehr der Normalfall ist.
  • 19 Telefongespräch mit Johannes Beringer vom 20.05.2015.
  • 20 Nur die Kunstgewerbeschule Zürich bot ab 1967 „Filmarbeitskurse“ als Vorstufe einer Filmausbildung an.
  • 21 Sofoklis Adamidis gibt als Informationsquellen unter anderem das „Schwarzbuch: Gastarbeiter” der Jungsozialisten von 1972 sowie eine Dokumentation des AStA Stuttgart zum Ausländerrecht an. Quelle: Deutsche Kinemathek. dffb-Archiv. Signatur Mappe: N23009_dffb ADAMIDIS, Sofoklis.
  • 22 Quelle: Deutsche Kinemathek. dffb-Archiv. Signatur Mappe: N16490_dffb MONTAZAMI-DABUI, Mehrangis.
  • 23 Quelle: Deutsche Kinemathek. dffb-Archiv. Signatur: N23313_dffb KATJIVENA, Ewald.
  • 24 Edna Politi an den Produktionsleiter Müller, 10.11.1973. Quelle: Deutsche Kinemathek. dffb.Archiv. Produktionsakte FÜR DIE PALÄSTINENSER. Signatur Mappe: F24414_N16573_dffb.
  • 25 Dies wird ihr in einem Zuschauerbrief als „Kommunismus“ ausgelegt. „Obwohl der Film eindeutig eine kommunistische Tendenz aufzeigte stimmten die gezeigten und genannten Tatsachen genau.“ Postkarte von Ingo Schönbohm aus Leer, 10.10.1974. Quelle: Deutsche Kinemathek. dffb-Archiv. Produktionsakte FÜR DIE PALÄSTINENSER. Signatur Mappe: F24414_N16573_dffb.
  • 26 Der internationalistische Verleih ISKRA/SLON in Paris wurde im Herbst 1968 gegründet.
  • 27 In einer Mischung aus Spiel- und Dokumentarszenen ist der Protagonist auf seinem Weg durch die Stadt bis zur Universität zu sehen. Seine Dozenten begegnen ihm freundlich, aber mit dem zeittypischen Überlegenheitsdünkel, wonach Afrika und der Rest der Welt nur dem europäischen Vorbild zu folgen hätten, um ihre Probleme zu überwinden. URL: http://www.filme-aus-afrika.de/DE/film-db/a-z/film-details/w/10583/ (abgerufen am 28.05.2015).
  • 28 Quelle: Deutsche Kinemathek. dffb-Archiv. Signatur Mappe: N21553 BART-WILLIAMS, Gaston. Aus dem Englischen übersetzt von Madeleine Bernstorff.
  • 29 Richard Dyers Essay „White“ erschien 1988 in „Screen“ 29/4, eine leicht gekürzte deutsche Übersetzung erschien in „Frauen und Film“, Heft 54/55, 1994, und das Buch „White“ 1997 bei Routledge in London.
  • 30 Das Ausländergesetz von 1965 ließ den Verwaltungen großen Spielraum bei den Entscheidungen über Aufenthaltsgenehmigungen, bis es 1990 durch eine Neufassung ersetzt wurde. Die aus dem Ausland kommenden Studierenden an der dffb mussten regelmäßig zur Ausländerbehörde, um ihre Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern. Einige Abschlussfilme entstanden unter dem Druck dieser zeitlichen Befristung.
  • 31 dffb-Info. 3/1970.
  • 32 Quelle: Deutsche Kinemathek. dffb-Archiv. Signatur Mappe: N12697_dffb NORMAN, Skip.
  • 33 URL: http://faculty.atu.edu/cbrucker/Engl2013/texts/Dutchman.pdf (abgerufen am 30.06.2015).
  • 34 Von Normans legendärem experimentellem Erstlingsfilm RIFFI existiert momentan nur das Ausgangsmaterial.
  • 35 Die Titelcollage von „Frauen und Film” (5/1975) von Brigitte Tast zeigt Skip Norman, Alexandra Kollontai und Helke Sander sowie ein großes Frauenzeichen. Während einer Demonstration gegen den § 218 am 15.02.1975 waren Helke Sander und Skip Norman verhaftet und deren Film- und Fotomaterial beschlagnahmt worden, diese „FuF”-Ausgabe schildert den Vorgang auf S. 3.
  • 36 Brief von Dr. Rathsack an Mauricio Kagel vom 12. 07.1967. Quelle: Deutsche Kinemathek. dffb-Archiv. Signatur Mappe: N4476_Seminarunterl_dffb/ N3454_dffb KAGEL, Mauricio.
  • 37 „21 Fragebögen wurden beantwortet zurückgegeben, das sind mehr als zwei drittel aller ausgegebenen Fragebögen […] Die Ergebnisse dieser Umfrage können daher als einigermaßen repräsentativ für die Meinungen der Studentenschaft gelten.“ Quelle: Deutsche Kinemathek. dffb-Archiv. Signatur Mappe: N4476_Seminarunterl_dffb.
  • 38 Brief von Skip Norman an die dffb vom 09.09.1967. Quelle: Deutsche Kinemathek. dffb-Archiv. Signatur Mappe: N12697.
  • 39 Carlos Bustamante in einer E-Mail an die Autorin am 08.06.2015.
  • 40 Hans Helmut Prinzler: Gemeinsame Jahre. Mit Helmut Herbst an der DFFB. In: Helmut Herbst: Dem Licht bei der Arbeit zusehen. Fotografien von Freunden und Kollegen 1964–1990. Berlin 2004. S. 7.
  • 41 Ein Morse-Tank ist ein kleiner handbetätigter Entwicklungstank für 8-, 16- und 35-mm-Filmmaterial.
  • 42 Quelle: Deutsche Kinemathek. dffb-Archiv. Signatur Mappe: N21560_dffb BUSTAMANTE, Carlos.
  • 43 Quelle: Deutsche Kinemathek. dffb-Archiv. Signatur Mappe: N21512_dffb VRKLJAN, Irena.
  • 44 Irena Vrkljan: Marina im Gegenlicht. Graz/Wien 1988. S. 40 - 41. Vrkljan schreibt hier über Marina Zwetajewa, mit Bezügen auf Anna Achmatova, Natalia Goncarova und sich selbst.
  • 45 So beispielsweise in Helma Sanders-Brahms Film SHIRINS HOCHZEIT (DE 1975/76) und in Tefvik Basers Film 40 QM DEUTSCHLAND (DE 1985).
  • 46 Vgl. das Filmprogramm „Familien Bande”, Projekt Migration 2005, zusammengestellt von Marion von Osten und Madeleine Bernstorff. URL: http://koelnischerkunstverein.de/wp/familien-bande/ (aufgerufen am 02.06.2015).
  • 47 Macht bloß keine Filme über Migranten. Ein Interview von Toby Ashraf mit Sema Poyraz. In: Nanna Heidenreich (Hg.): Migration. Frauen und Film. Nr. 67. Die Ausgabe erscheint im Herbst 2015.
  • 48 Mannheimer Morgen/Mannheimer Lokalnachrichten – 11./12.10.1975 zur Filmwoche 6.–11. Oktober 1975.
  • 49 Vgl. Hito Steyerl: DEUTSCHLAND UND DAS ICH (1994), Hatice Ayten: OHNELAND (1995).
  • 50 Sabine Kebir: Harare Reloaded. Ein Porträt der Künstlerin, Regisseurin und Autorin Tsitsi Dangarembga. Der Freitag. 20/2015. Das Intro lautet: „Tsitsi Dangarembga ist die Verkörperung von kosmopolitisch. In Simbabwe kümmert sich die Künstlerin, Regisseurin und Autorin um die Zukunft eines ganzen Kontinents“. Siehe auch URL: http://www.beyond-festival.com/de/symposium/speaker/tsitsi-dangarembga (abgerufen am 27.06.2015).
  • 51 URL: http://indielisboa.com/en/film/deutschl-nder/ (abgerufen am 30.06.2015).
  • 52 Fabian Tietke: Die Oberfläche der Narration. In: Der Freitag. 11.05.2015. URL: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/oberhausen (abgerufen am 2. 7. 2015).

Verwandte dffb-Filme und Personen