DEUTSCHE KINEMATHEK MUSEUM FÜR FILM UND FERNSEHEN
Über das Projekt

Collage

„Low budget, high energy“ - Reinhard Hauff als Direktor 1993-2005

Von Bert Rebhandl

Anhand von Filmbeispielen und Zeitzeugenberichten wirft diese Collage im Stil einer Talkshow einen Blick auf die Deutsche Film- und Fernsehakademie während der Amtszeit Reinhard Hauffs als Direktor. Es wurden ausgewählte AbsolventInnen und DozentInnen interviewt, die aus ihrer jeweils subjektiven Perspektive ein Bild der dffb zwischen 1993 und 2005 zeichnen.

Teilnehmende

Sylke Enders (dffb-Jahrgang 1996)

Elke Hauck (dffb-Jahrgang 1994)

Marin Martschewski (Studienleiter bis 1998, danach Dozent für Regie)

Lawrence Tooley (dffb-Jahrgang 2000)

Nicolas Wackerbarth (dffb-Jahrgang 2000)

Die Aufnahmeprüfungen und das Grundstudium

Lawrence Tooley

Freunde haben mir gesagt: Schau dir das an, das ist keine normale Filmschule. Ich bin grundsätzlich eigentlich gegen das Konzept einer Filmschule und war dann sehr positiv überrascht. Zuerst hatte ich Angst davor, wieder filmtheoretische Essays schreiben zu müssen. Ich wollte inszenieren, und davon war ich beeindruckt. Auch dass die Schule extrem international war, damals war die zweite Sprache Spanisch, die dritte war Russisch. Es gab sogar jemanden aus der Mongolei an der dffb.

 

Nicolas Wackerbarth

Meine Aufnahmeprüfung war noch am Theodor-Heuss-Platz. Sie ging über mehrere Tage und war sehr anstrengend, aber auch lustig. Wir mussten eine Übung mit Schauspielern machen. Andreas Schmidt, der Hauptdarsteller in plus-minus null von Eoin Moore (DE 1998), stand uns dafür zur Verfügung. Ich hatte eine Szene von Ödön von Horváth gewählt, einen Dialog eines Ehepaars. Es funktionierte überhaupt nicht, so erschien es mir. Dabei kam ich ja vom Theater, war selber Schauspieler, und dachte, es wäre ein Leichtes zu vermitteln, dass das eine Kunstsprache ist und die Rollen nicht psychologisch zu spielen sind. Die Schauspieler aber redeten wie Schlagerstars. Und ich hatte auch den Eindruck, sie sind immer nur bei Reinhard Hauff, sie spielen für den Direktor. Ich bin dann rausgegangen in den Wald, habe dort Äste abgerissen, mich abreagiert. Und dann bin ich auf den Stufen zum Eingang eingeschlafen, weil diese fünf Tage so anstrengend waren.

Später gab es dann das Gespräch mit Hauff. Was hatte mir nicht gefallen? Na, diese Übung. Ich war davon so frustriert, dass ich danach in den Wald gelaufen bin. Hauff guckte mürrisch: „Was war denn das für ein Wald?“ Ich verstand seine Frage nicht. Was wollte er von mir? Es war ein Mischwald, eher ein Laubwald. Er wollte mich aus der Fassung bringen und empfand das vielleicht als eine eitle Geste von mir, das mit dem Wald. Dass ich davor Schauspiel gemacht hatte, wusste er. Das machte ihn misstrauisch, ob ich wirklich Film studieren wollte. Andere hat er gefragt, wer gerade der Bundespräsident war.

 

Elke Hauck

Nina Fischer und ich waren, glaube ich, die letzten, die sich noch mit Fotos bewerben konnten. Damals hatten wir noch keine Computer. Erst während der Bewerbung drehten wir einen Film. Wir wurden auch noch als eine gemeinsame Klasse aufgenommen. Wir waren alle wahnsinnig beschäftigt. „Ihr habt keine Luft, Nebenjob geht nicht.“ Die ersten zweieinhalb Jahre wohnte man quasi in der Schule. Florian Hoffmeister oder Busso von Müller wussten von Beginn an, dass sie Kameraleute werden wollten. Da brach von unserer Seite her der Gruppengedanke schon ein bisschen in sich zusammen, das Reihum-Gehen der Funktionen. Wenn man einen 16mm-Film macht, muss man eine Ahnung von Kamera haben. Ich hätte es gern probiert, habe mich aber nicht getraut. Ich hatte nicht genug Ahnung davon. Diese Differenzierung kam auch von unten.

 

Sylke Enders

Meine Aufnahmeprüfung war sehr witzig, weil ich kriminell unterwegs war und mein Alter gefälscht habe. Die Bewerbung habe ich mit 30 abgeschickt, als es zur Prüfung kam, war ich schon 31, das war ein Jahr zu viel. Helene Schwarz begrüßte mich: „Sie sind also Frau Enders? Hier gibt es das Gerücht, ihr Alter stimmt nicht?“ Ich log nicht weiter: „Das stimmt, das Gerücht.“ Ich wurde aber doch hochgeschickt. Im zweiten Stock kam mir Reinhard Hauff entgegen. Ich sagte nur: „Das Gleiche würde ich gleich noch mal tun.“ Er brummelte so vor sich hin, er müsste mich eigentlich nach Hause schicken. „Na, dann geh ich jetzt.“ Ich war an der HFF angenommen, das habe ich ihm nicht erzählt. Plötzlich sagte er: „Haben Sie einen Ausweis dabei?“ Er guckte sich den Führerschein an und murmelte: „Das ist wirklich alles ganz knapp. Reden wir noch einmal darüber.“ Und damit schickte er mich zu Frau Schwarz zurück. Ich durfte die Prüfung doch mitmachen, drei oder fünf Tage ging es, dann kam das krönende Abschlussgespräch, da meinte Hauff, ich könnte den Weg auch so machen. Ich darauf: „Ne, ich bin weiblich, das sieht doch ein wenig anders aus da draußen.“ Ich dachte: „Der will mich einfach nicht.“ Und dann war es ganz anders, und ich wurde genommen.

 

Lawrence Tooley

Jedes Jahr dreht man einen kleinen Film, drei 16mm-Rollen, mit einem Team aus Kommilitonen, im Kopf die großen Meisterwerke, und jeder will zeigen, wie toll er ist. Die konkrete Erfahrung daraus war das Scheitern. Diejenigen, die sich da mit einem Trick aus der Affäre gezogen haben, die hat Reinhard Hauff fertiggemacht. Man hat nur das Material, das man gedreht hat. In den ersten Jahren war ich praktisch jeden Tag da, im dritten Jahr dann weniger, im vierten oder fünften Jahr ist man mehr oder weniger im Orbit.

Professionalisierung oder Politisierung?

Marin Martschewski

Unter Thomas Koebner hatte die dffb in organisatorischer Hinsicht einen großen Schritt nach vorne gemacht, ein viertes Studienjahr kam dazu, eine etwas systematischere Strukturierung, es gab nun ein Grundstudium und Studiengänge, alles, was man für eine moderne Filmausbildung für notwendig hielt. Ich war in diese Planungen auch intensiv einbezogen gewesen. Nach zehn Jahren war klar, dass das funktioniert. Das war auch ein Grund für meinen Wechsel zur Regie. Als Hauff kam, hatte sich das schon bewährt.

 

Marin Martschewski

Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre war die dffb sicher nicht in dem Sinn politisch wie in den 1960ern, aber die Verbindung von Film und Realität war nach wie vor der Grundgedanke. Und die Freiheit künstlerischer Tätigkeit, die Hinwendung zum Hier und Heute, auch in politischer Hinsicht, wurde verteidigt. Es wurde immer wieder kolportiert, dass diese Generation nicht politisch war, wie auch die heutige. In den 1990er Jahren gab es sicher nicht lauter Leute vom Schlag eines Holger Meins, aber doch Leute, die sich für gesellschaftliche Vorgänge interessierten.

 

Nicolas Wackerbarth

Zusammen Filme machen, das Arbeitsprinzip im Grundstudium, war anstrengend, und man hat meist erst später bemerkt, wie viel man mitgenommen hat. Jede Aufgabe hat beim Filmen eine andere Zeitdimension, der eine muss warten, der andere ist gerade sehr unter Druck. Wir haben noch auf Film gedreht, man musste sich sehr genau entscheiden, was wann zu tun war. Wir waren vermutlich einer der letzten Jahrgänge, die noch auf einem Schneidetisch gearbeitet haben.

 

Elke Hauck

Die Professionalisierung kam durch die Produzenten- und Redakteurstreffen. Dass die Filme auch irgendwo platziert werden sollten, raus aus dem künstlerisch angehauchten Studententraum und an die Realität andocken, das kam dadurch auf die Tagesordnung.

 

Sylke Enders

Die Parties waren sehr gut, das erzähle ich immer noch gern.

 

Marin Martschewski

Ich erinnere mich an ein Treffen mit dem damaligen Berlinale-Direktor Moritz de Hadeln in Reinhard Hauffs Büro, es waren auch ein paar handverlesene Studenten da. De Hadeln hat auf den deutschen Autorenfilm geschimpft, er ist richtig rot angelaufen, so massiv waren seine Vorwürfe. Aber die dffb wollte Filmemacher ausbilden. Autorenfilm wurde dort nicht so verstanden wie im klassischen deutschen Autorenfilm, dem es darum ging, die Kontrolle über seinen Film in allen Bereichen zu haben, was bedeutete: Man musste Produzent der eigenen Filme werden. An der dffb ging es eher um eine persönliche, künstlerische, ethische Aussage. De Hadeln stand für ein Umfeld, das diesem Projekt skeptisch gegenüberstand. Die dffb produziere nur Leute, die keine Chance haben auf dem Markt, hieß es. „Nabelschau“ war ein Begriff, der immer wieder fiel. Auch Hauff hat eine Zeit gebraucht, bis er zu seinen doch eher linken Wurzeln zurückgefunden hat. Man hat sich Mitte der 1990er Jahre wieder zum Autorenfilm bekannt, das hat sich später ausgezahlt.

  • Reinhard Hauff im Interview mit Bert Rebhandl
    Thema: Professionalisierung an der dffb

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BERLIN IS IN GERMANY (DE 2001) von Hannes Stöhr

Berlin is in Germany wurde zu einem der bekanntesten Filme eines dffb-Absolventen aus der Generation nach der Berliner Schule. Besonders interessant ist, sich vor dem Hintergrund des ausformulierten 90-minütigen Films den vorangegangenen Studentenfilm (DE 1998) anzusehen: Dieser erzählt den Kern der Geschichte in 15 fast wortlosen Minuten, in denen neben einer gewissen Melancholie vor allem die Situationskomik dominiert. Heinrich Jährig wird 1998 aus einem Gefängnis entlassen. „Können Sie wahrscheinlich nicht mehr viel damit anfangen“, sagt ein Beamter, als er ihm die alten Ost-Mark-Scheine aushändigt. Jährig kann daraus immerhin noch einen Papierflieger bauen. Eine Monatskarte der BVG kostet nun 99 DM. Jährig ist nur mit dem Osten der Stadt vertraut. Die Frau, nach deren Verbleib er Ausschau hält, arbeitet in einem alltours-Reisecenter. Im Aufsatzheft ihres Sohnes liest Jährig: „Im a boy from Berlin / Berlin is in Germany.“ So kann man die Zeit nach der Wende auch zusammenfassen. Hannes Stöhr gelingt es in dieser erzählerischen Miniatur, den schwergängigen Hauptdarsteller wie ein Objekt auf der Strömung des Zufalls tanzen zu lassen: Als er vor der Tür steht, um zu klingeln, tragen Leute ein Sofa die Treppe hoch, und drängen ihn nach oben; später findet er sich unversehens in seiner ehemaligen Wohnung eingesperrt.

Durch die Vergleichsmöglichkeit zwischen dem für die rbb-Reihe Ostwind ausformulierten Langfilm und dem Kurzfilm eignen sich die beiden Versionen von Berlin is in Germany perfekt für Studien über unterschiedliche Strategien des Autorenfilms, wie sie mit der dffb und ihrer kontrovers diskutierten Professionalisierung in Verbindung gebracht werden: Die Funktion des impliziten Erzählens ist hierbei entscheidend.

Dozenten und Seminare

Marin Martschewski

Es gab nur vier feste Dozenten, der Rest sollten Leute aus der Praxis sein, die jeweils für zwei oder vier Wochen kamen. Dieses Prinzip hat Reinhard Hauff übernommen. Ich fand die Idee einer Akademie eine sehr gute, ein Ort von Gleichgesinnten, die gemeinsam etwas ausprobieren und lernen. Das steht in keinem Widerspruch zu einer Professionalisierung, dass im Grundstudium der erfolgreiche Versuch unternommen wurde, eine gewisse Systematik einzuführen durch gemeinsame Lehrveranstaltungen für alle Studiengänge. Hauff hat dann zusätzlich eine Produktionsklasse eingeführt und später die Drehbuchakademie.

  • Reinhard Hauff im Interview mit Bert Rebhandl
    Thema: Marin Martschewski

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Sylke Enders

Dauernd kamen neue Leute an die dffb, das machte alles viel freier, man war nicht so von der Sympathie eines einzigen Dozenten abhängig. Ich war über 30 und hatte Lust, Paroli zu bieten, und fand auch die Leute dafür. Der bulgarische Filmemacher und dffb-Dozent Krasimir Krumov war krass, herrlich. Mit ihm hat mich auch Einiges verbunden. Er hatte Verständnis für das, was ich trieb: „Die Enders, die macht was, aber der fehlt Struktur.“ Das ist wahrscheinlich auch so geblieben, aber es war ja ein halbes Lob und hat mich ermutigt, weiterzumachen. Oskar Roehler hat mich mit Rainer Werner Fassbinder konfrontiert: In einem Jahr mit 13 Monden (DE 1978). Emil Knebel, der war eine unheimlich coole Socke, aber er ließ mich begreifen, warum eine Szene ein visuelles Universum wiedergibt. Warum wählt man eine Figur, was gehört alles dazu, was hat eine Wirkung? Das sind Faktoren, die in Deutschland ein bisschen vernachlässigt werden.

 

Nicolas Wackerbarth

Es gab eine Einführung mit Christian Ziewer. Er hat italienischen Neorealismus gezeigt. Das war der Stempel, den Reinhard Hauff allem aufdrücken wollte, so habe ich das interpretiert. Danach aber gab es eine Vielfalt von Dozenten, kein schulisches System. Das war auch der Grund, warum ich an die dffb wollte. Der polnische Kameramann Sławomir Idziak, der ungarische Regisseur Béla Tarr, die deutschen Regisseure Andreas Dresen und Thomas Schadt fallen mir ein. Vermisst habe ich einen theoretischen Diskurs über Film. Helmut Färber hat ein Seminar gegeben über den Science-Fiction-Film Gattaca (US 1997, Regie: Andrew Niccol) und den Thriller Fight Club (US 1999, Regie: David Fincher), angeregt oder herausgefordert vom dffb-Studenten Martin Semlitsch, der damals ein  rechtsgesinnter Punk war.

 

Elke Hauck

Dadurch, dass die Leute immer nur kurz da waren, blieb das auch immer ein wenig flüchtig. Wolfgang Becker hatte eher Prominentenstatus. Der amerikanische Regisseur Buddy Giovinazzo war mal da. Der kanadische Regisseur Rafal Zielinski hat ein schönes Seminar gemacht, das Hauff auch sehr mochte: Ein 20-Minuten-Film in drei Wochen. Schreiben, casten, drehen, schneiden. Wie soll das gehen? Aber es ging. Sich zu trauen und loszugehen, sich dazu zu zwingen, Sachen auch schnell zu machen. Das hat bei mir Eindruck hinterlassen, weil es mir die Verbindung zum Dokumentarfilm noch einmal geöffnet hat, das macht auch für Spielfilm Sinn. Ich habe einen Film namens Eastside Hotel gemacht, der mir auch ein bisschen peinlich ist, aber doch Momente enthält, in denen man Berlin bei Nacht sieht und die Straßen der Stadt.

 

Lawrence Tooley

Damals hatte die dffb wenige angestellte Dozenten, eigentlich nur Marin Martschewski, der sich auskannte mit dokumentarischen Filmen aus dem ehemaligen Ostblock. Das war ungewöhnlich. Ich erinnere mich an einen Film über Amateurrennfahrer. Er verfocht sehr leidenschaftlich, dass die siebente Kunst ein wichtiges Medium ist, gegen alle Neinsager. Die Gastdozenten kamen aus einem Dunstkreis von vor allem deutschen Filmemachern, es gab aber auch internationale Persönlichkeiten. Das lief hauptsächlich über Hauff und seine Kontakte. Man hatte gleich mit dem Kameramann Michael Ballhaus oder dem Regisseur Wayne Wang zu tun. Dabei gab es keinen Promifaktor, sondern das war sehr bodenständig. Wir arbeiteten einfach gemeinsam.

Reinhard Hauff, der Direktor

Lawrence Tooley

Hauff hat immer gesagt: Film ist das Konkreteste, was es gibt. Das habe ich erst allmählich verstanden.

 

Nicolas Wackerbarth

Hauff stand jeden Morgen in der Kantine und scheuchte die Leute in die Räume. Mit viel Verve. Er war ein sehr guter Host. Sehr viele unterschiedliche Gäste hat er uns immer gut nahegebracht, die Studenten wussten manchmal gar nicht um die Bedeutung gewisser Leute. Ein Alleinstellungsmerkmal war der gute Kontakt zu den Redakteuren, man hatte den Eindruck, in der Form gab es das damals nur an der dffb. Das birgt aber auch viele Probleme, wenn eine Schule ständig mit dem Kleinen Fernsehspiel zusammenarbeitet.

  • Reinhard Hauff im Interview mit Bert Rebhandl
    Thema: dffb Café am Potsdamer Platz

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Elke Hauck

Hauff haderte zu Beginn mit dem, was er da machte. Die Studenten seien nicht auf Zack, packten nicht die zeitgemäßen Themen an, so was konnte man von ihm hören. Er wirkte unzufrieden. Später gab es einmal ein Gespräch, da war auch die damalige Gaststudentin und spätere Regisseurin Valeska Grisebach dabei. Wir fragten ihn, ob er noch einmal einen Film machen würde. Er meinte:„ Ich glaube nicht. Es gibt niemand mehr, der für mich etwas schreiben würde.“ Das hat uns betroffen gemacht. Dass er das Filmemachen aufgibt. Das war aber auch der Zeitpunkt, zu dem er die Aufgabe an der dffb angenommen hat. Er wurde Direktor, als er erkannte, dass es auch für ihn selbst nicht leicht war. Damals hat er sich der dffb zugewendet und sich dann sehr mit ihr verbunden gefühlt. Dieses gelegentlich Autoritäre, das später kam, habe ich noch nicht mitbekommen. Ich habe so eine Phase von ihm mitbekommen, in der er sich an die Sache rangetastet hat. Das war gut.

 

Marin Martschewski

Hauff war spontan. Seine große Stärke war sein Engagement. Er hat sich richtig geärgert, wenn ihm ein Film nicht gefallen hat. Das haben die Studenten sehr goutiert. Hauff war nicht der Freund eines jeden Studenten, aber gerade deswegen war er möglicherweise der beste Direktor der dffb. Das ist jetzt ein großer Satz, denn jeder hat seinen Beitrag geleistet. Es gab an der dffb damals eine gute Mischung aus Leuten, die ein erzählendes Kino wollten, von mir aus kann man auch sagen: ein Mainstreamkino, das ein größeres Publikum ansprechen könnte, und Leuten, die eher experimentiert haben, Leute, die nach neuen Wegen suchten, einem neuen linken Filmemachen, Leute, die sich wieder stark an Jean-Luc Godard oder Pier Paolo Pasolini orientiert haben. Gerade diese Mischung ist spannend.

 

Sylke Enders

Der Kerl ist mir im Laufe der Jahre wirklich ans Herz gewachsen. Es gab wunderbare Stunden im Schneideraum. Er ist ja zum Glück eine ambivalente Persönlichkeit, das zuweilen Grummelige hat auch eine Kehrseite, er spricht mit dem Herzen, und er gab mir immer gute Tipps. Ich konnte mich an ihn wenden, das vergesse ich ihm nicht. Ich hatte auf jeden Fall eine gute Zeit.

 

Lawrence Tooley

Hauff war sehr genau, und sehr subjektiv. Er hat alle Objektivität immer abgelehnt, seine Reaktion kam aus dem Bauch heraus, danach ging es um das Handwerkliche. Er war ein leidenschaftlicher Filmemacher, der nach wie vor glaubt, ein kleiner Film kann die Welt ändern.

Autoren-Genrekino?

DUNCKEL (DE 1998) von Lars Kraume

Drei Brüder überfallen in Berlin eine Bank. Sie erbeuten Geld, zwei Polizisten sterben, Benny bekommt eine Kugel in das Bein. Die Dunckel-Brüder trennen sich, um auf unterschiedlichen Wegen ihre Beute und sich selbst in Sicherheit zu bringen und vielleicht sogar ein neues Leben anfangen zu können. Benny fährt in Richtung Polen, damals noch ein Land, das wie Mexiko im amerikanischen Film noir hinter der Grenze des Gesetzes lag. Freddy muss auf dem Weg in die Freiheit noch zu einer Frau: Er möchte etwas zusammenfügen, was schon lange zerbrochen ist. Tommy fährt nach Westen, nach Paris, wo er auf einen Strippenzieher namens Jean Lacroix trifft, gespielt von Horst Buchholz, einem Star aus einer anderen Ära des deutschen Films.

Florian Lukas, Oliver Korittke und Sebastian Blomberg heißen die drei Stars von Dunckel, der nicht nur wegen dieser Besetzung zu einem prominenten Beispiel für ein deutsches Genrekino mit eigenem Geschichtsbewusstsein darstellt. Lars Kraume verortete die Geschichte sowohl räumlich in einem „geopolitischen“ Zusammenhang, wie auch (film-)geschichtlich, vor allem durch pointierte Besetzungen, neben Buchholz etwa noch Vadim Glowna als Vater der Dunckels oder Marquard Bohm als Pokerspieler. In kleineren Nebenrollen sind zwei dffb-Kollegen zu sehen: Hendrik Handloegten und Sören Voigt. Kamera: Andreas Doub und Florian Hoffmeister.

TOLLE LAGE (DE 2000) von Sören Voigt

In Sören Voigts dffb-Abschlussfilm wird ein Campingplatz im Osten zum Schauplatz eines überdrehten Spielfilms mit Reality-Elementen: Wie es sich gehört, ist das Völkchen, das sich hier zum Urlauben einfindet, bunt gemischt. Der Betreiber hat finanzielle Sorgen. Sein wichtigster Mitarbeiter ist ein junger Mann mit vietnamesischem Migrationshintergrund: Pit Sun ist auch die zentrale Figur in Tolle Lage. Sören Voigt versuchte sich mit seiner 1999 in Mecklenburg gedrehten Komödie an einem populären Genre. Er lässt den Film dabei aussehen, als wäre er wie ein Amateururlaubsvideo mitten aus dem Geschehen heraus entstanden. Julia Hummer erlebte damals gerade ihren Durchbruch als Schauspielerin und Samuel Finzi übernahm nun im deutschen Film erste Rollen. Das Thema der blühenden Landschaften, die Bundeskanzler Helmut Kohl den Menschen in den neuen Bundesländern versprochen hatte, wurde von Sören Voigt satirisch aufgegriffen.

Umzug an den Potsdamer Platz

Nicolas Wackerbarth

Alle haben das Gebäude von vornherein gehasst. Hauff hätte auch lieber eine Fabrik oder eine Halle gehabt. Es galt, das Beste daraus machen. Das Filmhaus war ursprünglich ja für das Niemandsland an der Mauer konzipiert. Das Sony Center landet dort wie ein UFO. Das war aber sehr treffend für diese Zeit. Wir haben die Premieren der großen Hollywood-Filme von der Terrasse aus gesehen, auf Bad Boys II (US 2003, Regie: Michael Bay) haben wir von oben runtergeschaut. Hauff hat das spartanische Element des Gebäudes auch geschätzt. Er sagte einmal: „Ihr wollt eine Kiff- und Kuschelecke“, als Studierende einen Tischkicker aufstellen wollten. Das hat er alles nicht unterstützt.

 

Marin Martschewski

Die meisten, mich eingeschlossen, haben die Übersiedlung bedauert. Sogar die Zwischensaison in der Heerstraße war besser als das Gebäude am Potsdamer Platz. Hauff hat ganz vorsichtig versucht, eine Alternative zu finden, er suchte nach einer Filminstitution, die diese Räume gern genutzt hätte. Aber da war überhaupt nicht dran zu denken.

  • Das Filmhaus am Potsdamer Platz im Jahr 2000

  • Das Filmhaus am Potsdamer Platz im Jahr 2000

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Elke Hauck

Ich habe alle drei Schulen miterlebt. Das war toll. Wir waren zuerst am Theodor-Heuss-Platz,  im Deutschlandhaus des SFB, und wir haben noch demonstriert, weil der SFB diesen Teil des Hauses verkaufte. Dann kam das ziemlich muffige Gebäude an der Heerstraße, das zum Arbeiten aber gar nicht schlecht war mit diesen holzgetäfelten Wänden. Das war merkwürdig. Der Potsdamer Platz war dann toll, viel zeitgemäßer, nicht so draußen. Es war gut für die Schule, nicht im alten West-Berlin zu bleiben. Wir haben im ersten Studienjahr einen Film gedreht, in dem man diese Bauwüste sah, nur das Weinhaus Huth stand. Das war schon gut, dass die Schule da hingezogen ist. Belebend.

  • Reinhard Hauff im Interview mit Bert Rebhandl
    Thema: Umzug an den Potsdamer Platz

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Abnahmen und Abschlussfilme

Nicolas Wackerbarth

Es gab jeden Dienstagabend Abnahmen. Die ganze Schule war da. Reinhard Hauff hatte einen Heidenspaß, wenn es kontrovers war. Er hat das Pädagogische verweigert und hat eher provoziert und versucht, jemanden aus der Reserve zu locken. Autorenfilme musste man ihm gegenüber durchsetzen, den Respekt musste man sich erarbeiten. Er hat den Erfolg auf Festivals extrem goutiert, oder wenn in der Abnahme ein Film sehr gut ankam, dann musste das Festivalbüro sich extra dafür bemühen. Andere Filme wollte er eher nicht rauslassen. Dabei konnte er auch danebenliegen. Es gibt einfach Konflikte, wenn man Filme bei der Verschickung nicht unterstützt. Ich persönlich war davor an zwei Staatstheatern als Schauspieler, ich kannte Intendanten, ich konnte den Spielcharakter daran schätzen. Schickt man den Film halt selber hin. Sich damit aufzuhalten bringt einen selber nicht weiter. Manche waren aber überrascht von der Härte, die ihnen da entgegengebraust ist.

Sylke Enders

Die Geburt des TV-Spielfilms Kroko (DE 2003) fand an der dffb statt, im Rahmen der Boomtown-Reihe des rbb machte ich erst einmal einen Halbstünder. Hauff und seine Frau haben den dramaturgisch sehr unterstützt und ihn auch Redakteuren vorgeführt. Die Produktion kam dann auf mich zu, ich solle doch mal ruhig 90 Minuten daraus entwickeln. Innerhalb von vier Wochen habe ich das geschrieben, und Kroko ist dann als Sonderprojekt noch vor meinem Abschlussfilm entstanden. Mit Restgeldern vom Südwestrundfunk. Das Geld musste 2002 noch ausgegeben werden, das ging wahnsinnig schnell. Hab mich lieb! (DE 2004) war der Abschlussfilm, der wurde drei Monate später gedreht, mit derselben Schauspielerin, und parallel fertiggemacht. Der Halbstünder war für mich eine Art Etüde. Ich musste herausfinden: Wie schaffe ich es, die Zuschauer dabei zu verlieren, bei einer so negativen Hauptfigur? Damals gab es für so was ein Paradebeispiel: Naked (GB 1993) von Mike Leigh.

  • Ausschnitt aus: BOOMTOWN BERLIN. KROKO (DE 2001, Sylke Enders)

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Elke Hauck

Ich wollte mit einem Spielfilm abschließen, mit einem DDR-Agentenstoff, der mich damals einfach überfordert hat. Ich hatte den irgendwann einmal gepitcht, und es sind viele Leute darauf angesprungen, aber das kriegte ich nicht in den Griff. Ich wollte nicht fünf Jahre an einem Abschlussfilm arbeiten. Durch Valeska Grisebach hatte ich ein paar Leute von der Wiener Filmhochschule kennengelernt, das hat mich angezogen. Ich habe dadurch stärker zum Dokumentarfilm gefunden, habe entdeckt, dass das mehr sein kann als nur Reportage. Man kann rausgehen und sich die richtigen Leute angucken.

So entwarf ich einen Mädchenfilm als Abschlussfilm, Das Kleine Fernsehspiel stieg ein, Lukas Schmidt war ein Glücksfall, er hat das Projekt in bester positiver Weise unterstützt. Ich bin ja in der DDR großgeworden. Berlin ist der Ort, wo alles so verschmolzen ist. Für Flügge war ich in den Ostbezirken unterwegs, betrieb also Forschung auf meinem ehemaligen Feld. Es ging um Kinder von Leuten aus der DDR. Wir haben viel auf Video vorgedreht, aber Flügge ist dann auf 16mm entstanden und doch ziemlich inszeniert. Es wurde genau beschlossen, welche Art von Szenen man dreht. Klar, die Dialoge sind auch weiterhin vielfach spontan, aber es wurde insgesamt doch eine Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm.

  • Ausschnitt aus: FLÜGGE (DE 2001, Elke Hauck)

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